Das helle Gesicht
Dabei sah sie die drohenden Gefahren und auch die Grenzen ihrer Kraft recht deutlich und wirklich, ohne darum zurückzuschrecken; darin war der Siksikau ihr Lehrer geworden.
Heute hatte sie noch mehr zu leisten als bei ihren bisherigen Lebensprüfungen. Für ihre und Hanskas Freunde, für den Stamm hing etwas davon ab, ob sie sich überlegt verhielt und Führern des allgemeinen indianischen Widerstandes Informationen geben und Rat bei ihnen einholen konnte. Sie war nicht nur eine sehr junge Ehefrau, sondern auch ein sehr junger Bote und das in einer Situation, die einem zum Zerreißen gespannten Bogen glich. Durch Roberts Vorgehen war Wasescha eine Schlüsselstellung der unmittelbaren Beratung und Entscheidung zugeschoben, aber es gab nicht genügend Unterstützung für ihn, wenn er, erfolglos und vereinsamt, einer Schar wild entschlossener junger Männer gegenüberstehen würde.
Ite-ska-wih spürte an diesem Tage selbst, daß sie schön war; niemand brauchte es ihr zu sagen. Zwar hatte sie ein Kleid aus billigem Stoff an, aber die blaue Farbe stand gut zu ihrer sanftbraunen Haut. Sie hatte das Tipimuster, wenn auch nur mit Perlen, in rot und weiß um den runden Haisauschnitt, auf den Gürtel und um die weiten Ärmel gestickt, auch auf das Stirnband, das ihre offenen langen Haare hielt. Ihre Füße in Mokassins gingen leicht und lautlos. Als sie in den kleinen Supermarket eintrat, der dank seiner indianischen Kunden die Konkurrenz gegen den unnütz umfangreichen, von der Verwaltung erbauten Supermarket nebenan noch immer aushielt, schaute die Inhaberin etwas überrascht, aber so unauffällig, wie es sich gehört, auf die junge Frau.
Ite-ska-wih kaufte etwas Brot. Sie war zu dieser frühen Zeit die einzige Kundin in dem Laden, der schon um 6 Uhr geöffnet hatte. »Allein heute?« fragte die Ladeninhaberin beim Zahlen.
»Ich muß nach New City zum Museum. Vielleicht bekomme ich Stachelschweinsborsten. Sie sind so schwer zu haben.«
»Wissen Sie schon, wie Sie nach New City kommen können?«
»Vielleicht nimmt mich ein LKW mit.«
»Aber natürlich, der unsere. Gehen Sie nur schon auf den Hof hinten. In einer Viertelstunde fährt er.«
»Danke Ihnen sehr.«
Ite-ska-wih folgte dem Rat; der Fahrer, ein älterer Mann, Indianer, war sofort bereit, sie einsteigen zu lassen.
Die Fahrt dauerte fast drei Stunden. Der Fahrer blieb schweigsam. Der Wagen beendete seine Fahrt bei der Großmarkthalle der Stadt; Ite-ska-wih hatte noch eine weite Strecke bis zum Museum zu laufen. Es hatte gerade geöffnet, als sie ankam. Oiseda ließ sie sofort in ihr Dienstzimmer ein.
»Schreckliche Vorgänge«, begann sie unvermittelt. »Hast du eine Nachricht für mich?«
Ite-ska-wih berichtete kurz.
»Um Gottes willen, sie werden doch nicht die Touristen in den Black Hills überfallen. Ich muß sofort mit unserer Zentrale telefonieren, damit du dort vorsprechen kannst. Soviel ich weiß, kommt einer unserer großen führenden Männer heute – du mußt ihm das vortragen.«
Oiseda erfuhr, daß es in etwa zwei Stunden für Ite-ska-wih Zweck habe, sich sehen zu lassen.
Irene-Oiseda konnte lange nicht zur Ruhe kommen. Pedro war eine neue Hoffnung gewesen; nun dieser Schlag. Aber endlich ließ sie sich doch für Ite-ska-wihs Absicht gewinnen, ihren Botschaftsgang nebenbei für den Erwerb von Stachelschweinsborsten zu nutzen, mit denen die wertvollen Stickereien nach alter Manier ausgeführt wurden. Stachelschweine gab es im Naturschutzpark der Black Hills, der sie jedoch nicht an Privatpersonen, sondern nur an Institutionen abgab. Museen, Schulen erhielten sie.
»Frau Holland, der Schuldirektorin, hat deine Arbeit sehr gut gefallen. Sie kann Stachelschweinsborsten für dich ankaufen, und du kopierst ihr weitere schöne, alte Muster, genau stilgerecht. Wie wäre es damit? Inya-he-yukan und Tashina hatten eine kleine Stachelschweinszucht für meine Kunsthandwerksschule begonnen – das ist alles zerstört, alles. Aber mit Hilfe von Frau Holland könnten wir wieder etwas anfangen.«
»Wie gern.«
»Also gut. In vierzehn Tagen, denke ich. Komm, wir trinken eine Tasse Kaffee.«
Ite-ska-wih war um die Erfrischung froh.
»Hast du dich schon in der Stadt umgesehen?«
»Ganz wenig. Die beiden Waffengeschäfte sind geschlossen. Wir sollen wohl keine Munition mehr bekommen.«
Oiseda tat einen seufzend klingenden Atemzug. »Kind – ich meine zum Beispiel das Naturkundemuseum. Du hast zwei Stunden Zeit.«
»Ich kann noch Tante Margret
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