Das Herz aus Eis
Appartement eintreten. Methodisch durchforsteten die beiden Beamten sämtliche, im teuren Barockstil eingerichteten Zimmer.
Die Ausbeute war mager, warf aber die bestehenden Vermutungen über den Haufen. Im Schlafzimmer fand man in einem gering gesicherten Wandtresor, den Jacklow mit einem Dietrich öffnete, einige Schachteln Morphium-Ampullen und drei Etuis mit Injektionsspritzen, ferner ein Kästchen mit Opiumrollen und kleine Dosen voll mit Dagga und Haschisch. In der ledernen Briefmappe auf dem Schreibtisch entdeckte Inspektor Jacklow einen handschriftlichen Zettel Valeria Thurners, in dem sie um weiteren ›Stoff‹ bat und sich für die letzte ›Lieferung‹ herzlich bedankte. Einige Liebesbriefe von Jules Combattier an Iren Shaw ergänzten die dünne Ausbeute der Untersuchung.
Enttäuscht ließ sich Inspektor Jacklow in einen Sessel fallen. In der Hand hielt er den Dankesbrief von Valeria Thurner an Iren Shaw.
»So gut wie nichts!« meinte er kopfschüttelnd. »Nur soviel wissen wir jetzt, daß alle drei stark rauschgiftsüchtig waren und früher oder später von ganz alleine mit uns in Konflikt geraten wären. Darum wahrscheinlich auch die Flucht Combattiers und Iren Shaws, die natürlich damit rechnen mußten, daß wir ihrem Rauschgiftkonsum auf die Spur kommen würden. Den Mordverdacht gegen die beiden muß ich wohl fallen lassen. – Ich sehe erstens kein Motiv, zweitens halte ich beide für nicht fähig, einen solchen Mord zu begehen, und drittens habe ich das unerklärliche Gefühl, auf dem falschen Dampfer zu sitzen. Ich bin fast geneigt, dem anonymen Schreiber von vorhin recht zu geben: Unsere Spur stimmt nicht! Oder sehen Sie das anders, Chef?«
Der Captain betrachtete eine Weile die Liebesbriefe Jules Combattiers, ehe er eine Antwort gab. Er war ein ruhiger, besonnener und klar denkender Mensch.
»Diese Liebesbriefe gefallen mir nicht. Es ist allgemein bekannt, daß Combattier Valeria Thurner verehrte und sie heiraten wollte. Schreibt man dann Liebesbriefe an Iren Shaw? – Und wenn, dann trieb er ein gefährliches Doppelspiel. Man könnte es sich folgendermaßen zusammenreimen: Iren Shaw entdeckte den Betrug Combattiers, erwachte zu blindwütiger Eifersucht, stellte an jenem Morgen Valeria Thurner zur Rede und ermordete sie in einem Anfall von Wut und Enttäuschung. Als sie wieder bei Sinnen war, kehrte auch das Bewußtsein über die ungeheuerliche Tat zurück. Sie empfand Furcht und Schrecken, alarmierte Combattier, und beide flüchteten, um einer doppelten Anklage – Rauschgift und Mord – zu entgehen. Wie gesagt, man könnte es so sehen.«
Inspektor Jacklow nickte bestätigend, wiegte dann jedoch skeptisch sein Haupt. »Eine Lücke hat Ihr Gebäude, Captain. Zur Zeit der Tat stand Iren Shaw im Atelier vor der Kamera! Und Combattier saß beim Friseur und ließ sich neue Locken drehen. Soviel haben wir schon ermittelt. Lediglich zwischen halb zwölf und ein Uhr liegt bei beiden ein Zwischenraum, in dem der Mord hätte ausgeführt werden können. Um die Zeit aber war Valeria Thurner schon zwei Stunden verletzt oder hätte, selbst wenn sich alle Gerichtsärzte in der Mordzeit irrten, bestimmt nicht mehr in der Wanne geplanscht. Und doch besteht hier irgendwo ein Zusammenhang. Nicht direkt, aber indirekt. Eine Mitwisserschaft vielleicht oder eine Duldung des Mordes. Iren Shaw und Jules Combattier wissen auf jeden Fall mehr als wir. Hoffentlich führen wenigstens die Steckbriefe zu ihrer Festnahme!«
»Der Absendeort der Liebesbriefe ist Amarillo«, bemerkte der Captain staunend. »Was macht Combattier in Texas?« Er drehte die Briefe nochmals hin und her und schaute Jacklow fragend an.
»Das werde ich sofort nachforschen lassen. Möglich, daß er in der Nähe ein Landhaus hat. Und ebenfalls möglich, daß die beiden dahin geflüchtet sind. Und das wäre dumm für sie.«
Die beiden Männer wollten gerade die Wohnung verlassen, als das kleine weiße Telefon auf Iren Shaws Schreibtisch zu klingeln begann. Jacklow zögerte einen Augenblick, dann lief er hin, nahm den Hörer ab und meldete sich als Portier des Hauses. Michael Collins war am Apparat, erkannte gleich die Stimme Jacklows und berichtete in knappen Worten. Es war eine kurze Meldung, die Jacklow jedoch sehr nachdenklich den Hörer auf die Gabel legen ließ. Erwartungsvoll sah ihn der Captain an.
»Nun?« fragte er, als Jacklow noch immer beharrlich schwieg. Der Inspektor atmete tief durch.
»Etwas, Chef, was alles wieder umwirft.
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