Das Herz aus Eis
Unter den Papieren, die man in der Thurner-Wohnung sicherstellte, war ein handschriftliches Drohschreiben. Es ist der Brief eines Mannes, der Valeria Thurner den Tod ankündigt, wenn sie seine Werbungen nicht erhören würde. Der Brief ist neuesten Datums. Hier wäre das Motiv: pathologische sexuelle Erregung und Mord im Affekt dieser unerfüllten Sexualität. Mit anderen Worten: Mord aus Rache!«
»Und wer kennt den Schreiber?«
»Collins sagt, der Brief sei unterzeichnet mit Jack Fenton.«
»Wer ist denn das nun wieder?«
»Völlig unbekannt! Das typische Auftauchen des großen Unbekannten! Und immer in dem Moment, in dem man meint, kurz vor der Lösung zu stehen. Der Fall Thurner wird uns wohl noch etliches Kopfzerbrechen bereiten. Natürlich verfolgen wir auch diese Spur. Und was sehr eigenartig ist, wir sind bei früheren Ermittlungen schon einmal auf diesen Fenton gestoßen. Er wohnte bis gestern als Untermieter bei einem Spielwarenhändler, der seine Wohnung gegenüber der von Valeria Thurner hat. Und dieser Untermieter kaufte für seinen Neffen ein Luftgewehr. Soll ein jüngerer, harmloser Mann sein.«
Da plötzlich richtete sich Inspektor Jacklow kerzengerade auf, starrte seinen Chef an und klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ich Esel«, schrie er, »renne einer Iren Shaw nach, und dieser Fenton hat die Wohnung gestern fluchtartig verlassen, von deren einem Zimmer aus man sehr wahrscheinlich in das Badezimmer Valeria Thurners sehen kann! Ich Hornochse! Captain, wir müssen sofort zum Tatort. Ich glaube, wir haben endlich die richtige Spur gefunden!«
Sie rasten aus der Wohnung, hielten auf der Straße ein Taxi an und ließen sich in mörderischem Tempo zur 57. Straße chauffieren. Als der Wagen anfuhr, löste sich aus einer Mauernische die Gestalt eines jungen Mannes, der dem davonbrausenden Auto aufmerksam nachschaute, bis es um die nächste Ecke verschwunden war. Dann lief er in die entgegengesetzte Richtung und bog in eine Seitenstraße ein, wo ein kleiner offener Sportwagen stand. Mit einem Satz sprang er hinter das Steuer, schaltete den Motor ein, hieb auf den Gashebel und schoß davon in Richtung der breiten Ausfallstraße, hinaus aus New York.
Es war ein mittelgroßer junger Mann, mit blassem, schmalem Gesicht und kurzen schwarzen Haaren.
Jack Fenton …
Als Inspektor Jacklow und der Captain die Wohnung Valeria Thurners betraten, hatte Michael Collins bereits das Badezimmer auf den Millimeter genau ausgemessen. Der Abstand vom Fenster bis zu dem Platz, an dem man die Sterbende gefunden hatte, war ebenso berücksichtigt worden wie der Winkel von der Fenstermitte bis zur Herzgegend einer stehenden Person.
Inspektor Jacklow ließ sich zuerst aus der mitgebrachten Akte den verdächtigen Brief geben und las ihn aufmerksam durch. Er lautete:
»Sie Grausame!
Haben Sie kein Gefühl für die Not eines rettungs- und hoffnungslos Verliebten? Haben Sie kein Herz für den Schmerz eines glühenden Bewunderers? Ich weiß keinen Weg mehr, meiner Sehnsucht zu Ihnen zu entfliehen, als daß Sie mir – wie in einem Traum – nur eine Stunde Ihrer himmlischen Gunst gewähren oder von der Hand sterben, die Sie zurückstießen und die Sie nur streicheln wollte.
Grausame … höre … du wirst sterben … du hast ein Herz aus Eis … ich werde es aufbrechen … und das rote Blut, das ihm entquillt, wird es auftauen, und im Sterben, endlich, endlich mir allein gehören.
Ich werde dich töten aus Liebe.
Jack Fenton.«
Fred Jacklow pfiff leise durch die Zähne und reichte das Schreiben dem Captain weiter. »Typischer Fall von krankhafter Sexualität, wie ich schon annahm«, erklärte er dabei. »Ein Irrer, der sich in die Idee verbohrte, die Thurner zu besitzen. Vor allem der letzte Abschnitt des Briefes verrät eine absolut irre Perversität. Wir haben es bei diesem Jack Fenton mit einem gefährlichen Psychopathen zu tun. Der Fall Thurner gewinnt an Konturen!«
Er trat zu Michael Collins und prüfte noch einmal die ausgerechneten Maße. Dann stellte er sich an das Fenster des Badezimmers und blickte hinaus auf den kleinen Hof mit den angrenzenden Häuserwänden.
Gegenüber dem Badezimmerfenster, ein wenig höher gelegen, befand sich in gerader Richtung ein schmales, enges, schlitzartiges Fenster, offensichtlich das Fenster eines Toilettenraumes.
Michael Collins, der neben Fred Jacklow stand, erriet die Gedanken seines Chefs und nickte zustimmend. »Der Mörder muß dort drüben durch den
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