Das Herz aus Eis
Schlitz geschossen haben«, raunte er. »Es ist der einzige Platz, von dem aus man direkt in das Badezimmer sehen kann und jemanden, der hier vor der Badewanne steht, mit Leichtigkeit erschießen könnte. Der Winkel und die Flugbahn stimmen genau mit dem Einschuß in der Leiche überein.«
Inspektor Jacklow spürte, wie das Blut schneller durch seine Schläfen pulste. Prickelndes Jagdfieber hatte ihn gepackt. Er fühlte sich kurz vor dem Ausgang eines bisher völlig verwirrenden Labyrinths.
»Wem gehört diese Wohnung?« fragte er, obwohl er die Antwort schon wußte. Aber die zu hören, mußte sein, denn er griff sich innerlich ans Hirn, daß er dem Hinweis nicht schon früher gefolgt war.
»Dem Spielwarenhändler«, antwortete Michael Collins prompt. »Bei ihm wohnte dieser Jack Fenton, der sich ein Luftgewehr kaufte und dann spurlos verschwand!«
»Stimmt – und mit diesem lächerlichen Luftgewehr, mit einem Spielzeug für halbwüchsige Jungs, wurde Valeria Thurner im Bad erschossen. Der Brief enthält Fentons Absicht, seine Flucht ist sein Geständnis! Lieutenant, Sie sind doch wieder sehr brauchbar gewesen – wir haben den Fall Valeria Thurner geklärt!«
»Geklärt?« Der Captain schüttelte den Kopf. »Lieber Jacklow, wir haben lediglich den Namen des angenommenen Mörders und ein plausibles Motiv. Aber wir haben weder den Mörder selbst noch die Mordwaffe, noch Beweisspuren, und erst recht kein Bild von Jack Fenton! Und was uns wohl alle am meisten interessiert: Wo ist das tödliche Geschoß geblieben? Auch ein Luftgewehr muß mit einem festen Körper gefüttert werden, damit es aktionsbereit ist.«
Inspektor Jacklow zupfte sich am Ohr und zog eine Grimasse. Michael Collins sah zur Seite und beschäftigte sich angelegentlich mit seinem Notizbuch. Peinliches Schweigen breitete sich aus.
»Das zu klären, ist Aufgabe der medizinischen Wissenschaft!« brachte Fred Jacklow endlich heraus. »Unsere Pflicht ist es, den Täter zu finden. Wir stellen lediglich die Tat fest. Die Ursache des Todes und das Auffinden eines Geschosses in einem ausschußfreien Körper ist Sache der Mediziner. Was von unserer Seite aus getan werden konnte, ist bis jetzt unternommen worden. Wir werden nun die ganze Welt in die Suchaktion nach Jack Fenton einschalten. Es soll keinen Menschen auf diesem Globus geben, dem seine Beschreibung und sein Name unbekannt bleiben. Und irgendwoher – von Verwandten, Bekannten oder Liebschaften – werden wir schon ein Bild dieses Burschen bekommen. Wir werden ihn so lange hetzen, bis er stolpert, das verspreche ich Ihnen, Captain!«
»Ich wünsche Ihnen alles Glück, Jacklow!«
»Besten Dank, Chef.« Inspektor Jacklow wandte sich zur Tür. »Ich glaube nicht, daß er schon weit gekommen ist.«
5
Die Suche nach Jack Fenton lief wie ein gut geöltes Uhrwerk ab. Aus Hunderten von scheinbar unwichtigen Verhören und Berichten las Fred Jacklow sich Teil um Teil eines Bildes von Jack Fenton zusammen und setzte es mit vielen tausend Unwichtigkeiten zu einem Wunderwerk ineinander, das die Gestalt des flüchtigen Mörders wie lebendig werden ließ.
Zunächst begann er die Verhöre mit der Vernehmung der Hauswirtin von Valeria Thurner. Die Miß, wie sie im ganzen Haus genannt wurde, war eine der im Aussterben begriffenen stattlichen alten Damen, deren Leben sich zwischen Moralphilosophie und Frauenrecht bewegte und die keine andere Passion besaßen, als abends geruhsam mehrere Partien Patiencen zu legen. Der Mord in ihrem Haus und das Verhör ihrer Person brachten ihren Lebensrhythmus völlig aus dem Gleichgewicht, so daß Inspektor Jacklow eine gereizte, streitlustige alte Dame antraf und die Vernehmung so kurz wie möglich gestaltete.
Ihre Aussage war dürftig und im Rahmen der Untersuchung unwichtig. Weder hatte sie einen Schuß gehört noch irgend etwas Verdächtiges bemerkt. Als sie am Nachmittag zu Mrs. Thurner ging, fand sie Valeria nackt und sterbend im Badezimmer. Sie hatte daraufhin den Hausmeister angerufen und auf dessen Rat die Polizei alarmiert. Alles weitere wäre ja den Herren bekannt. Im übrigen sei sie mit den Nerven total herunter und bedürfe dringend der Ruhe.
Inspektor Jacklow nahm darauf Rücksicht und stieg hinab zum Hausmeister.
Es gehört zum Beruf eines Portiers, neugierig zu sein. Da er im Hause als ›Mädchen für alles‹ galt, blieb es nicht aus, daß er Situationen mitbekam, die man normalerweise gerne für sich behalten hätte. Doch da Mr. Vaeso, er hatte
Weitere Kostenlose Bücher