Das Herz aus Eis
in den Sattel und ritt in scharfem Trab aus der Farm und nach Mexiko-City zurück.
Als er die schmutzige Gegend seiner Herberge erreicht hatte, überkam ihn mit unvorbereiteter Wucht der Jammer über sein vergangenes und zukünftiges Leben. Wie konnte er nur ohne Valeria Thurner und mit seinem quälenden Gewissen weiterleben? Die Tat war einfach für ihn gewesen, doch die Langzeitfolgen hatte er nicht mit einkalkuliert.
Die Taberna hatte an diesem Abend wieder einmal ihre Sensation. Bianca, die schwarzäugige kreolische Tänzerin, die immer unangemeldet in der Stadt auftauchte, allen Männern den Kopf verdrehte und ihre mongolische Herkunft als Urheber all ihrer Laster verantwortlich machte, wirbelte mit hochgeschürztem rotem Rock und wild zerzausten schwarzen Locken über die Tische und flog von einem Arm in den anderen. Sie versprach jedem alles und hielt nichts.
Die stoppelbärtigen Männer, verwegene Gestalten in zerrissener Kleidung, johlten und grölten die Melodie des Tanzes mit, die aus einem altersschwachen Grammophon blechern den Lärm zu durchdringen versuchte. Pietro Maurillio stand hinter der Theke, füllte Wein- und Schnapsgläser reihenweise, überwachte mit aufmerksamen Augen das hektische Treiben und hatte für alle Fälle einen schweren, mehrschüssigen Revolver in Griffnähe. Dichter Tabaksqualm waberte durch die niedrige Spelunke.
Das erste, was Villeria bei seinem Eintreffen von Juana erfuhr, war das Verschwinden des Mestizen Lumubra. Er hatte Mexiko-City verlassen, um, wie er ausrichten ließ, sich einen neuen Geldverdienst zu suchen. In Wahrheit waren ihm Bedenken gekommen, mit einem staatlichen Spürhund in dieser einschlägigen Unterkunft zu wohnen, denn man konnte nie wissen, wie die ständigen Gäste darauf reagierten. Der Besuch Villerias bei dem Marques ließ ihn die Gefahr erst richtig erkennen, und so hatte er sich lieber vor einem eventuellen Knall aus dem Staube gemacht.
Für Villeria bedeutete das Verschwinden des Mestizen keinen Verlust. Seine Gedanken kreisten sowieso um andere Probleme. Bis zur Möglichkeit eines erlösenden Selbstmordes hatte er sich schon gesteigert. Dumpf brütend saß er in einer Ecke des Lokals und würdigte den vor ihm stehenden Schnaps nicht einmal mit einem Blick, geschweige denn, daß er ihn trinken wollte.
So entdeckte ihn Bianca. Wie die vom Teufel gesandte Versuchung stürzte sie in atemberaubenden Tanzdrehungen auf ihn zu.
»Hey, wen haben wir denn da?« rief sie neckisch und landete mit gekonntem Schwung auf seinem Schoß, schob ihren Rock hoch, so daß die wohlgeformten Beine in den schwarzen Netzstrümpfen bis weit über die Knie sichtbar wurden. »Allein und traurig, Schätzchen?« Sie drückte ihren Mund auf den seinen und unterband blitzschnell seinen Widerstand durch ihre feuchte Zunge. Sie griff Villeria mit beiden Händen in die Haare und reckte ihm ihre vollen Brüste entgegen. »Welche Äpfel sind dir lieber?« gurrte sie. »Die am Baum wachsen oder die, die ich bei mir habe?« Und ehe Villeria antworten oder sie abschütteln konnte, hatte sie ihn unter dem Gejohle der Männer emporgezogen und tobte mit ihm in engster Umarmung durch den Raum. Ihr praller, biegsamer Körper verfehlte seine Wirkung nicht.
Villeria fühlte eine glühende Welle über sich hinwegspülen. Das Zimmer schien sich zu drehen, er hörte die Musik, das Kreischen und Johlen, fühlte den heißen Körper unter seinen Händen und hatte plötzlich nur den einen Gedanken: Vergessen … alles, alles zu vergessen …
Und diesen aufreizenden Körper zu besitzen, diese roten Lippen zu küssen, versinken im Taumel der Fleischeslust, alles, alles haben, genießen, mitnehmen. Sonst war das Leben so wertlos, so sinnlos …
Stöhnend krallte er sich mit beiden Händen in das warme Fleisch, so daß Bianca grell aufschrie und ihm in den Hals biß. Dieser Schmerz öffnete sämtliche Schleusen bei ihm. Er wurde zum reißenden Tier, zerrte Bianca an sich, wühlte sich mit scharfen Zähnen in ihren gierigen Mund, zerriß ihr beim Tanzen die Bluse bis zum Gürtel, fühlte ihre drängenden, vollen Brüste und trug sie, rennend und stolpernd, die dunkle Treppe hinauf.
Später lag Villeria auf der grauen Matratze des wackeligen Eisenbetts in dem kleinen, schmutzstarrenden Zimmer Biancas. Er rauchte einen Zigarillo und starrte schweigend an die niedrige Decke. Bianca saß ebenfalls rauchend vor einem kleinen Spiegel und betrachtete dabei wohlgefällig ihren üppig gewachsenen
Weitere Kostenlose Bücher