Das Herz aus Eis
zwielichtigen Gestalten war. Manch ahnungsloser Fremde wurde hier um eine Erfahrung reicher. Statt einem versprochenen Schäferstündchen mit einer schönen Mexikanerin in dem dazugehörigen Hinterzimmer wurde er betäubt, ausgeplündert und irgendwo an einem anderen Ende der Stadt halbnackt ausgesetzt.
Das alles hinderte Pietro Maurillio natürlich nicht daran, den ehrenhaften Bürger zu spielen. Er zuckte zwar etwas mit der Augenbraue, als eines Abends vor seiner Tür vier Esel, zwei Pferde und zwei todmüde, zerlumpte Reiter hielten und um eine Unterkunft baten. Aber als der Mestize ihm ins Ohr flüsterte, sein Herr sei Geheimpolizist der Vereinigten Staaten, verlor Maurillio sofort seine Zurückhaltung und wies ihnen die besten Zimmer seines verwanzten Hauses an.
»Juana!« brüllte er durch die Spelunke und schritt würdig den Gästen voran. »Juana, Gäste … hohe Gäste … Caballeros, Juana!« Und zu Villeria gewandt, sagte er, ölig lächelnd: »Juana ist meine Tochter, Caballero. Eine Orchidee ist im Vergleich zu ihr verdorrtes Gras!«
Über die dunkle, steile Treppe huschte ein leichter Schritt, und mit fliegenden Röcken um den zarten, biegsamen Körper eilte Juana Maurillio herbei. Sie war gerade achtzehn Jahre alt geworden, glutäugig und schwarzlockig, mit einer weißen Blüte im Haar. Ihre Haut schimmerte bronzefarben, was ihre indianischen Vorfahren verriet.
Einen Augenblick stand Roberto del Villeria wie vom Donner gerührt vor dieser unverhofften Schönheit, dann verbeugte er sich leicht und ließ sich von Juana hinauf in sein Zimmer führen. Pietro und der Mestize grinsten ihnen verständnisinnig hinterher.
Als die beiden auf dem oberen Treppenabsatz verschwunden waren, zog Maurillio den Mestizen grob zu sich heran. »Wer ist dieser Caballero?« zischte er. »Nicht, daß er mir die anderen Gäste – du weißt schon – vertreibt! Das ist mir sein Besuch nicht wert, verdammtes Mischblut!«
Der Mestize winkte beruhigend ab. Sein listiges Gesicht glänzte vor Freude.
»Señor del Villeria sucht einen Mörder, sonst nichts«, flüsterte er. »In New York wurde vor einem Jahr, im Mai 1938, ein Filmstar erschossen. Jetzt muß man entdeckt haben, daß der Täter hier in Mexiko ist, und Señor del Villeria will ihn zur Strecke bringen. Deine kleinen Gauner, Pietro, interessieren ihn nicht, wenn sie ihn nur in Ruhe lassen!«
»Ich werde ihn hüten wie meinen Augapfel«, versicherte der Wirt und steckte sich befriedigt einen Zigarillo an. »Juana wird schon gut auf ihn aufpassen … in solchen Dingen sind die Mädels einfach unersetzlich!« Er feixte schmierig und rieb die Hände aneinander.
»Wäre eine tolle Sache, Mischblut. Ein Staatsdiener als Schwiegersohn eines Hehlers!« Er lachte schallend, schob seinen mächtigen Sombrero in den Nacken und schlenderte in die breite, mäßig belebte Schankstube. Grinsend folgte ihm Lumubra und ließ sich die Stallungen für die Tiere zeigen.
Unterdessen standen sich Juana und Roberto in dem engen Zimmer, dessen eines Fenster zum Hof hinausging, gegenüber und sahen sich abschätzend an. Es wirkte wie das Abtasten eines Gegners.
»Señor«, sagte Juana endlich und blickte zur Seite. »Hören Sie nicht auf meinen Vater. Suchen Sie sich ein anderes Gasthaus … Sie wissen nicht, wo Sie sind.«
»Und wenn ich es weiß und genau hier hin wollte?« fragte Roberto. »Wenn ich etwas zu verbergen hätte und einen Winkel suchte, wo ich mich verkriechen kann?«
Juana schüttelte den Kopf und betrachtete ihn aus warmen, unergründlichen schwarzen Augen. »Das täte mir leid«, sagte sie leise. »Sehr leid, Señor Roberto …«
Damit wandte sie sich rasch ab und verließ fluchtartig das Zimmer.
7
Nicht weit von Mexiko-City entfernt, einige Meilen hinter einem zu verlanden drohenden See, lag eine riesige Rinderfarm. Der Besitzer der weiten Ländereien und langgestreckten Gebäude war Marques Miguel del Bonueta, dessen sagenhafter Reichtum und ungeheure Brutalität ihn weit über Mexiko hinaus bekannt gemacht hatten. Er galt als ein Mann, bei dem es ratsam war, die gleiche Meinung zu haben wie er selbst. Im Volksmund hieß er nur ›Marques‹. Er verkehrte – und das wunderte niemanden – bei seinen häufigen Besuchen in Mexiko-City nur bei Pietro Maurillio und galt als ein zwar erfolgloser, aber um so hartnäckigerer Bewerber um die junge Schönheit der sich vor ihm ekelnden Juana.
Der Marques, ein großer, bulliger Mann mit dichtem, schwarzem Vollbart und
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