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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Rohre mußten sich etwas abkühlen. Die Artillerie schwieg, das Bellen der Paks schlief ein, selbst das Rumpeln der Minen verstummte. Es war der 8. Januar 1943, vormittags 10 Uhr. Ein Datum wie jedes andere für Knösel, in der Geschichte der 6. Armee aber ein Tag und eine Stunde, die über ihr Schicksal entscheiden und die später in aller Klarheit das Verbrechen bloßlegen sollte, dem 300.000 deutsche Soldaten zum Opfer gefallen waren. Ein Verbrechen, wie es bisher in der Kriegsgeschichte einmalig war.
    An allen Fronten rund um den Kessel machte der Tod eine Pause. Ganz schlief das Sterben nicht ein … Stoßtrupps und Panzerspitzen durchkämmten das Gelände, und in Gumrak, Pitomnik, Stalingrazkij und Gorodischtsche, in den Kellern und Erdlöchern, Granattrichtern und Bunkern der Stadt Stalingrad starben sie weiter, die Verwundeten, die keiner mehr ausfliegen konnte, weil die Luftwaffe keine Maschinen und die Flugplätze im Kessel Stalingrad keine Vorwärmgeräte hatten, um die bei 40 Grad Frost vereisenden Motoren und Leitwerke aufzutauen. Und es starben die, die im letzten Aufbäumen gegen ihr Schicksal sich auf den Weg machten nach Pitomnik, von dem die mystische Hoffnung ausging, daß vielleicht doch ein Flugzeug da war, ein winziges Eckchen im Laderaum einer Ju 52, in das sich der Schütze Meier III oder der Unteroffizier Weber oder der Leutnant Vogelsang hineindrücken konnten, um weinend vor Glück zu hören, wie die Motoren liefen, wie sich der Leib des blechernen Vogels abhob, wie er schwebte, wie er schaukelte, wie er flog … in die Heimat, in das Leben, in den Himmel …
    Das war ein Magnet, ein solcher Gedanke. Und Tausende trieb es nach Pitomnik, zu Fuß, auf Schlitten, kriechend, getragen, humpelnd, auf Stümpfen, auf Brettern durch Eis und Schnee rutschend, dunkle, mit Eis überkrustete, unförmige, stöhnende, jammernde, betende, fluchende, im Wahn singende, von den anderen, schnelleren niedergetretene und im Schnee erstarrende Insekten, steife Knüppel aus Menschenleibern, die die Straße nach Pitomnik pflasterten und über die hinweg der Nachschub rollte, bis es keinen Nachschub mehr gab, sondern nur noch wankende Gespenster, in Gruppen, geballt oder allein, einzeln in ihrer Sehnsucht nach Leben, mit nur einem Ziel … Pitomnik … das Flugfeld … das letzte Fenster, durch das Gott in die Hölle blickte …
    An diesem 8. Januar 1943 aber war es verhältnismäßig still. Knösel benutzte die Stille, um seinen Gepäcksack aufzuschnüren und im Hof eines Hauses auszurollen. Sein Mitbringsel aus Gumrak erwies sich als ein Markierungstuch der Luftwaffe, eine viereckige Leinwand mit einem großen weißen Kreuz darauf. Diese Markierungstücher lagen bereit, um an besonders unzugänglichen Stellen, vor allem bei eingeschlossenen Gruppen, den Versorgungsmaschinen Zeichen zu geben, in diesem Quadrat Verpflegungs- und Munitionsbomben abzuwerfen. Der Befehl, diese Markierungstücher an die kämpfende Truppe auszugeben, kam zu spät. Die Flugzeuge waren froh, überhaupt noch Pitomnik oder Gumrak zu erreichen … an einem Anflug auf Stalingrad-Stadt und eine Versorgung der in den Trümmern hausenden Regimenter war überhaupt nicht zu denken. Nachschub war nur noch auf dem Landwege in die Stadt möglich … und dort fehlten die Fahrzeuge und der Sprit. Und die Pferde. Sie wurden gegessen, sie waren die einzige Nahrung, die man noch kontingentieren konnte … zwölftausend Pferde für dreihunderttausend Menschen …
    »Det is eene Scheiße!« sagte Knösel endlich, nachdem das Wunder seiner Sprachlosigkeit geschehen war. Aber dann beruhigte er sich. Auch Leinentücher wärmen, wenn man sie faltet, und aus Leinentüchern kann man Binden reißen. Vor allem aber sagte sich Knösel nach der ersten Verblüffung, daß man ein Markierungstuch einmal ausprobieren sollte. Mehr als Feuer konnte nicht vom Himmel fallen, und das war nichts Neues mehr. Also rollte er sein Leinentuch mit dem großen weißen Kreuz wieder zusammen und ging auf die Suche nach einem Platz, wo man es ausbreiten und wo ein himmlischer Segen auch landen konnte. Zu diesem Zweck nahm er den Feldwebel Rottmann mit.
    »Los, du Riesenschwein!« sagte Knösel zu ihm und stieß ihn die Kellertreppe hinauf. »Wenn du glaubst, du könntest hier nur rumsitzen und Wachmann spielen, dann haste dir in 'n eigenen Stiefel gepißt! Los, mach schon! Und wennste dreimal Feldwebel bist … hier biste nur 'n Klumpen Fleisch, das Jlück hatte, nicht jespickt zu werden

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