Das Herz der 6. Armee
eröffnet. Sie war angefüllt mit frischem und zu Klumpen geronnenem Blut, eine fast überschwappende Fleischwanne, in der die Därme schwammen. Mit den Händen suchte die Pannarewskaja in diesem Blutsee nach der zerschossenen Arterie, während Dr. Körner mangels eines Spreizers mit seinen Händen die Bauchhöhle offenhielt.
Dr. Portner sah Dr. Sukow wieder an.
»Sehen Sie, Kollege«, sagte er ruhig, »auch wir sind schon eine Generation zurück. Während wir reden und verhandeln und uns Angebote machen, handelt die Jugend bereits ohne große Worte! So sollte es sein, Kollege … wir sollten uns schämen …«
Sie traten an den Tisch und lösten Dr. Körner und die Pannarewskaja ab. Dr. Sukow suchte weiter nach der Blutquelle … er tastete blind in der Bauchhöhle herum, bis er glaubte, die zerrissene Ader gefunden zu haben. Mit Daumen und Zeigefinger kniff er sie zu und hob sein schweißüberströmtes Gesicht zu Dr. Portner.
»Isch habbenn …« Er keuchte und biß die Zähne zusammen. Er lag halb über dem offenen Leib, aber er konnte sich nirgends aufstützen, weil er beide Hände in der Bauchhöhle hatte. So schwebte er fast über dem Körper, eine Haltung, die ihn von den Hüften an zittern ließ und ihm das Gefühl ins Hirn jagte, er müsse in der Mitte seines Rückgrats zerbrechen.
Dr. Portner riß eine Lage Zellstoff aus der Hand Körners und versuchte, mit ihr den Blutsee so weit aufzusaugen, daß man einen Überblick hatte. Es gelang nicht, es war zuviel. Aus einem Seidenfaden machte er eine Schlinge, tastete mit seinen Fingern den Arm Sukows entlang und fühlte das aufgerissene Arterienstück, das die Finger Sukows abdrückten. Er schob die Schlinge darum und zog sie zu. Im gleichen Augenblick ließ Sukow los und richtete sich stöhnend auf. Er preßte beide Fäuste gegen sein Rückgrat und bog sich keuchend zurück, holte ein paarmal tief Atem und lehnte sich an die Wand, weil ihm schwindlig wurde und sich der Keller vor seinen Augen drehte.
Am Küchentisch standen sich mit bluttropfenden Händen Dr. Körner und die Pannarewskaja gegenüber. Dr. Portner legte eine richtige Ligatur um die zerschossene Arterie. Es könnte noch rechtzeitig sein, dachte er. Wenn dieser Oberst Sabotkin ein starkes Herz hat, kann er überleben … aber nicht hier, nicht in diesen Kellern, in denen die Menschen verwesen, bevor sie gestorben sind. So ist es eigentlich sinnlos, was wir tun … wir kämpfen gegen einen Tod, der nichts anderes zu tun braucht, als zu warten. Die Zeit arbeitet für ihn.
»Die Blutung steht«, sagte Dr. Portner und richtete sich auf. Er bemerkte voll Erstaunen, daß sich Dr. Körner und die Pannarewskaja ansahen und daß in ihren Augen der Krieg und das Grauen verschwunden waren und das Träumen über sie zog wie weiße Federwolken in der Sonne. Auch das noch, dachte er und seufzte. Wir stehen in einem Grab, das man langsam zuschaufelt, und sie fangen an, sich zu lieben. Als ob das Leben sich noch einmal aufbäumt und nach dem Schönsten fleht, das ein Mensch empfinden kann …
Dr. Sukow kam wieder an den Tisch. Er hatte seinen Schwächeanfall überwunden. Er war ärgerlich, daß er ihn nicht hatte überspielen können und die Deutschen gesehen hatten, daß auch ein sowjetischer Major Nerven besaß. Er fühlte Oberst Sabotkin den Puls, legte das Ohr auf die Herzgegend und klappte die Lider hoch.
»In einem Krankenhaus hätte er alle Chancen«, sagte Dr. Portner, als sich Sukow wieder aufrichtete.
»Er wird bald in einem Krankenhaus sein«, sagte Sukow stolz.
»Oder in einem Granattrichter, Nummer sieben der elften Leichenschicht.«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weil wir siegen werden.«
»Aber wann?«
»Bald …«
Er streckte den Arm aus und stieß die Pannarewskaja an. Die Ärztin schrak zusammen und wischte sich mit der blutigen Hand über das Gesicht. Sie sah schrecklich aus, als sie die Hand sinken ließ.
»Wir sind nicht zum Vergnügen hier, Täubchen«, sagte Andreij Wassilijewitsch Sukow ernst. »Kümmern Sie sich um den Oberst!«
Dann ging er zurück an die Wand und setzte sich. Seine Hände wischte er an der Stiefelhose ab.
Eine Stunde später wurde ein kleiner Seitenkeller geräumt. Es war ein winziger Raum, in dem bisher das kärgliche Material verwahrt wurde und in dem ein einzelner Verwundeter lag. Der evangelische Pastor Sanders.
»Was machen wir mit dem?« fragte Knösel, der den Keller ausräumte. Dr. Portner hob die Schultern.
»Lassen wir ihn bei den Russen.
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