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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…«
    Emil Rottmann dachte gar nicht an Widerstand. Seit man ihn als Bewacher von Dr. Körner wieder in die Stadt geschickt hatte, ahnte er, daß sein Leben ebenso abgeschlossen war wie das der anderen Landser. Ihm blieb nur noch die Flucht nach vorn, zu den Sowjets, das Überlaufen, das in den letzten Tagen ein paarmal vorgekommen war und von dem die großen Lautsprecher berichteten, die an allen Stellen der Stadt aus den Ruinen hinüber zu den deutschen Stellungen dröhnten, mit Marschmusik, Walzerklängen und den Berichten der Übergelaufenen. Sie erzählten von guter Verpflegung, warmer Winterkleidung, sauberer Unterkunft, anständiger Behandlung. Sogar ein General sprach einmal. Er lebte jetzt in Moskau und nannte es seine neue Heimat. Rottmann hörte sich das alles an, immer und immer wieder. Ob es stimmt? dachte er. Oder ob sie nur lügen, wie unsere Propaganda es sagt? So zögerte er immer wieder, starrte hinüber zu den Häuserruinen, in denen die Russen saßen, sah die Panzer hin und her rollen, sah ab und zu eine graue Gestalt herumhuschen, dicke Mäntel, Pelzmützen … Sie frieren nicht, dachte er. Sie haben alles, was uns fehlt. Über die Wolga rollen ihre Divisionen, während wir hier verfaulen. Man müßte überlaufen, man müßte …
    Im Hof eines Magazins fanden sie einen guten Platz für ihr Markierungstuch. Der Hof war fast trümmerleer … die Häuser waren zur Straße hin umgekippt. Er war wie eine Oase, ein Stück jungfräulicher Haut im pockennarbigen und warzigen Gesicht der Erde.
    »Faß an, du Dussel!« rief Knösel und rollte sein Tuch aus. Emil Rottmann saß auf einer zerborstenen Mauer und starrte zu den Russen. Keine 150 Meter, dachte er und schielte zu Knösel. 150 Meter bis zum Überleben, wenn das stimmt, was sie immer durchs Sprachrohr blasen. Ob Knösel schießen würde, wenn er plötzlich aufsprang, mit dem Taschentuch winkte und hinüberlief zu den befestigten Ruinen?
    Rottmann zögerte. Er sah Knösels Maschinenpistole vor dessen Brust pendeln.
    »Du trübe Tasse!« schrie Knösel. »Faß an … det Ding muß ganz plan liejen, und Steine tun wir ooch druff, sonst fliecht det Ding weg! Mensch, such wenigstens 'n paar Steene …«
    Rottmann griff in die Tasche und umkrallte sein Taschentuch. Aufspringen, ein Schwung über die Mauer, Taschentuch hoch und winken … laufen … winken … laufen … hinein in das Leben … Aber wenn er schoß … wenn Knösel wirklich schoß … Oder wenn die Russen schossen? Aber das konnten sie nicht tun. Man schießt auf keinen, der ein weißes Tuch schwenkt.
    Rottmann riß sein Taschentuch heraus und duckte sich zum Sprung. Im gleichen Augenblick sah er, daß er kein weißes, sondern ein blaues Wehrmachtstaschentuch bei sich hatte. Diese Sekunde des Zögerns entschied. Von einer Ruine her bellte es auf. Dreimal ganz kurz … am Kopf vorbei summten die Geschosse wie riesige Hornissen. Rottmann ließ sich hinter die Mauer fallen, Knösel lag bereits in Deckung.
    »Soll man das für möglich halten?!« brüllte er und kroch an Rottmann heran. »Du Eckenscheißer, du! Halt dich still!«
    Sie lagen ein paar Minuten und warteten. Es geschah nichts weiter, der Hof war nicht einzusehen. Der sibirische Scharfschütze in seinem Stand hatte nur für einen Augenblick den weißgetünchten Helm Rottmanns gesehen und sofort geschossen. Nun lag die merkwürdige Stille wieder über den Trümmern.
    Knösel und Rottmann arbeiteten wortlos weiter. Sie breiteten das Tuch aus, beschwerten es an den Kanten mit Steinen und betrachteten dann ihr Werk. Ein großes weißes Kreuz leuchtete auf dunklem Grund.
    »Und was soll das?« fragte Rottmann.
    »Das ist das Zeichen für 'n Nikolaus!«
    »Du glaubst doch nicht, daß hier jemand etwas abwirft?«
    »Abwarten.«
    »Du lockst höchstens die Artillerie vom Iwan hierher.«
    »Man muß alles versuchen.« Knösel setzte sich an die Mauer und stopfte sich seine berühmt-berüchtigte Pfeife. Wenn sie richtig brannte, schnalzte sie wie wiederkäuende Kühe. Auch was Knösel rauchte, machte ihn berühmt als ›Mann ohne Lunge und mit ledernem Gaumen‹, wie es Dr. Portner nannte … es waren kaum sichtbare Krümel von Machorka, vermischt mit Sägespänen, getrocknetem Gras und – als Superwürze – geschnittenen Disteln. Dr. Portner hatte Knösel befohlen, seinen ›raucherischen Perversitäten‹ nur im Freien zu frönen, und so saß Knösel viermal täglich auf der Kellertreppe und schmatzte mit seiner Pfeife.
    »Man muß

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