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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dann langsam mit den Verwundeten über die vom Schneesturm glattgefegte Steppe zurück nach Gumrak zu fahren, machte sich Knösel auf, die Protzen der vernichteten Batterie zu suchen. Es war eine klare Nacht, mit einem eiskalten Sternenhimmel und einem Mond, der aussah, als friere er.
    Langsam ging Knösel durch die Trümmerwüste der Stadt. Zuerst war ihm die Gegend fremd, aber dann kam er in das Viertel, in dem er jeden Laufgraben kannte, jeden zum Bunker ausgebauten Keller, jedes zerborstene Haus, das jetzt noch mehr zerfetzt war oder nur noch aus einem Berg bizarrer Trümmer bestand.
    Ein paarmal wurde er angerufen. »Leckt mich am Arsch!« schrie er dann zurück. Das war besser als jede Parole und wurde auch sofort von den Wachen verstanden. Nur einer antwortete auf die Aufforderung mit dem Satz: »Auch davon wird man nicht satt!«
    Knösel tappte weiter. Als er MG-Feuer erhielt, verlegte er sich aufs Kriechen und Robben, schlängelte sich über Steine und Balken und vermied alle offenen Stellen oder freien Straßenüberquerungen. In der Ruine einer Großbäckerei traf er auf einen deutschen Spähtrupp. Die Männer saßen zwischen meterhohen Schutthalden und rauchten aus der hohlen Hand.
    »Jungs, wo ist die Batterie hopsgegangen?« fragte Knösel. »Da sollen noch Verwundete liegen.«
    Der junge Fähnrich, der den Spähtrupp führte, zeigte mit dem Daumen in die Trümmer. »Dort irgendwo. Aber bleib hier … dort drüben ist eine windige Ecke. Weiß der Teufel, warum.«
    Knösel kroch weiter. Er kam in den Fabrikhof mit den zerfetzten Geschützen und den herumliegenden Leichen. Und er hörte irgendwo ein Wiehern, ein hungriges Pferdeschreien, langgezogen und in die Knochen fahrend.
    Aha, dachte er. Eines lebt wenigstens noch. Wieder bellten ein paar Granatwerfer los … es waren gezielte Schüsse, eigens für Knösel abgefeuert. Er warf sich in ein Loch und verschnaufte. Irgendwo muß hier ein guter Beobachter sitzen, dachte er und hob vorsichtig den Kopf. Hausfassaden umgaben ihn, halbierte Wohnblocks, niedergebrochene Betondecken, Tausende von zerfetzten Armierungsstangen, die wie in den Himmel sich krallende Finger aussahen. Langsam, Meter um Meter, robbte sich Knösel weiter. Er erreichte den Eingang zu den Fabrikkellern und stieg hinab. Im sechsten Raum fand er die vier Verwundeten, von denen man auf der Sammelstelle gesprochen hatte. Drei waren inzwischen gestorben, sie lagen auf dem Rücken auf einem Packen fauligen Strohs und starrten an die Decke. Der vierte hatte dieses einsame Sterben abgekürzt. In der Mundhöhle seines zerplatzten Kopfes lag noch die Pistole.
    Leise, als könne er die Toten stören, verließ Knösel wieder den Keller und kroch an die Oberfläche. Der Pferdeschrei, der plötzlich aufgellte, riß ihn herum. Er kam aus einer halbzerstörten, langgestreckten Halle, die einmal das Lagerhaus der Fabrik gewesen war.
    »Gleich, gleich, mein Liebling«, sagte Knösel und sah sich um. Eine Stelle an einer massiven Betonmauer schien ihm geeignet zu sein, seinen Plan zu verwirklichen. Er machte einen schnellen Versuch … er richtete sich auf und sprang ein paar Meter über den Fabrikhof. Alles blieb still, nur außerhalb des Fabrikareals bellten jetzt die MGs auf. Der Spähtrupp war ausgemacht worden und kam in das Feuer sowjetischer vorgeschobener Sturmgruppen.
    Knösel blieb auf dem Fabrikhof stehen wie auf einer Insel, um die das Meer braust. Er fand in Massen das, was er suchte, eine Hacke, einen Spaten, eine Eisenstange … verstreut lagen die Werkzeuge herum neben den verlassenen, erhaltenen Protzen. Die Werkstatt, die hier gearbeitet hatte, war nach dem Überfall fluchtartig weggestoben. Als wilder Haufen zog sie jetzt irgendwo herum … entweder in der Steppe in Richtung Gumrak oder Woroponowo oder durch die Ruinen der Stadt nach Norden, wo man in den riesigen Trümmerwüsten der Werke ›Roter Oktober‹, ›Rote Barrikade‹ oder dem Traktorenwerk ›Dsershinski‹ bessere Überlebensmöglichkeiten erwartete.
    Was Knösel nun begann, zeugte von einem fast prophetischen Weitblick. Er hatte schon einmal einen Rußlandwinter überlebt, damals, in der Steppe vor Moskau. Zwar hatte Knösel keine Erfrierungen abbekommen, aber jene Wochen im Eiswind und Schneesturm waren unvergeßlich und eine Warnung. Und so tat Knösel jetzt etwas, was in seiner Situation als Blödsinn gelten konnte: Er legte einen Eisschrank an!
    Einen schönen großen Eisschrank. Zuerst grub er ein Loch in die Erde,

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