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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wie er sie jemals verlassen sollte, war ein noch fernes Problem. Jetzt ging es erst einmal darum, den Keller aufzubrechen und die Verschütteten zu befreien.
    Bis zum Morgengrauen arbeitete er, trug Steine weg, unterhöhlte die herabgestürzte, in der Stahlmatte hängende Decke, legte sich erschöpft für ein paar Minuten auf die Stufen und aß Schnee, dann klopfte er wieder, bekam Antwort und grub weiter. Stunde um Stunde. Bis der Morgen kam.
    Der neue Tag begann mit Schneefall. Vor den klaren Sternenhimmel zog sich langsam wie ein grausamtener Vorhang eine Wolkendecke. Schnee aus Kasachstan. Als die ersten Flocken fielen, rannte Knösel mit einem Balken die letzten Trümmer um … sie krachten in das Innere des Kellers und gaben ein Loch frei, durch das sich ein Mensch zwängen konnte.
    Knösel lehnte sich stöhnend gegen die Treppenwand und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Ein Mensch kroch durch das Loch ins Freie, als Knösel die Hand zurückzog und an seine Taschen klopfte, um die völlig zerdrückte Zigarettenschachtel zu finden. Statt zu den Zigaretten fuhr sie zur Pistole. Aus dem Keller kroch ein Russe. Staubbedeckt, an der Stirn blutend von herabfallenden Steinen, die ihn getroffen hatten.
    Iwan Iwanowitsch Kaljonin breitete die Arme aus, als er in der Freiheit stand. Er fing mit beiden Händen ein paar Schneeflocken auf und preßte sie gegen seinen Mund, als küsse er sie. Dann hob er den Kopf zu dem noch immer keuchenden Knösel und lächelte ihm zu.
    »Spasibo …«, sagte er (Danke). »Baljschoije spasibo …« (Vielen Dank). Er streckte Knösel die Hand entgegen. »Du … moj druk …« (Du, mein Freund).
    »Das ist'n Ding«, sagte Knösel, setzte sich auf die Kellerstufe und legte die 08 auf die Knie, »'n Iwan hol' ich raus! Sind vielleicht noch mehr da unten?«
    »Njet!«
    »Ach, du verstehst mich?«
    »Wännigg deutsch.« Kaljonin kam näher und setzte sich zu Knösel. Er holte aus der Tasche eine Packung Papyrossi und hielt sie Knösel hin. »Du rauchen …?«
    »Danke.«
    Kaljonin grinste verlegen. »Ich gefangen!«
    »Scheiße!« sagte Knösel ehrlich. Er stieß den Rauch gegen die Schneeflocken und zog seinen Mantel herunter, um ihn sich über Kopf und Schultern zu ziehen. »Was nun? Die sind mit den Sankas längst weg …«
    »Wärr wegg?«
    »Die Kameraden, Iwan!«
    »Ich Kaljonin. Iwan Iwanowitsch.«
    »Na siehste, wie ich richtig liege! Wir müssen uns jetzt hier häuslich niederlassen bis zur Nacht. Du kannst ja zwar weg, aber wenn schon, dann leistest du mir Gesellschaft … Haste Hunger?«
    »Hungär? Tak …« Kaljonin nickte. Er griff wieder in die Taschen seines Mantels und holte zwei alte, verbogene Scheiben Brot heraus.
    »Bittää …«
    Knösel sah auf die harten Brotstücke. »Och nichts zu fressen an der Wolga, was?« sagte er. Sein Gesicht erhellte sich etwas. »Aber Knösel hat was, Iwan! Heute ist Feiertag für Onkels Neffen! Paß mal auf, aber halt de Augen fest, daß se nicht rausfallen!«
    Er kroch nach oben, zog seinen Sack herunter und löste die Verschnürung. Das angefrorene Pferdefleisch quoll blutrot hervor. Kaljonin klopfte Knösel auf die Schulter.
    »Gutt! Sähr gutt, Kamerad …«
    »Und wie gut, mein Junge! Los, friß dich satt!«
    Kaljonin sah Knösel fragend an. Dann nahm er ein Klappmesser aus der Tasche, faßte das Fleisch an einem Zipfel und begann, ganz dünne Scheiben abzuschaben. Mit dem Ärmel wischte er ein Stück Holz sauber vom Staub, legte die Fleischläppchen darauf und zerhackte sie mit schnellen Klingenschlägen. Knösel kratzte sich den Kopf.
    »Das ist gut«, sagte er. »Gehacktes aus Schabefleisch. Iwan, das machen se im Exzelsior nich besser!«
    Kaljonin wies mit der Messerspitze auf das Häufchen Fleisch. »Nimm, Kamerad …«
    Sie aßen auf diese Art fast jeder ein Pfund Fleisch. Dann saßen sie satt auf der Kellertreppe und starrten durch die Trümmer. Es hatte aufgehört zu schneien. Vom ›Tennisschläger‹ her bellten Geschütze auf, eine Rotte Sturzkampfbomber zog über die Stadt zum Wolgaufer. Irgendwo fielen Trümmer um wie zusammenbrechende Urwelttiere. Kaljonin stieß Knösel an, der stumm rauchte.
    »Warum, Kamerad?«
    »Was warum?«
    »Kriegg …«
    »Frag deinen Stalin, Iwan.«
    »Oder Hitlär!«
    »Du Frau?«
    »Nein. Du?«
    »Ja. Ganz neu …« Kaljonin sah wieder in die Trümmer. Veraschka, dachte er. Wo mag sie jetzt sein? Sie werden gesagt haben: Der Iwan Iwanowitsch ist tot. Seit vier Tagen verschollen in der Stadt.

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