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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schloß die Augen und breitete die Arme aus. Über ihm wummten die Einschläge der deutschen Granaten, Wände und Boden zitterten, aber das störte ihn nicht. Er kam in eine glückliche Stimmung und fühlte sich plötzlich stark und gesund. »Komm, Veraschka«, sagte er leise und zärtlich. »Komm zu mir … es ist eine breite, weiche Matratze …«
    Später lagen sie Brust an Brust und sahen sich in die Augen und die verschwitzten, geröteten Gesichter.
    »Bald ist Weihnachten, Veraschka«, sagte Iwan Iwanowitsch mit glückschwerer Stimme.
    »Ich wünsche mir einen Sohn«, sagte sie leise und küßte ihn. »Einen Sohn, der einmal so wird wie du.«
    »Oder ein Mädchen, so schön wie du, Veraschka …«
    »Und Frieden, Wanja.«
    »Frieden …«
    Sie sahen zur Decke. Staub rieselte auf sie herunter. Es donnerte und bebte. Die Tür wurde aufgestoßen. Olga Pannarewskaja stand im Zimmer. Sie sah blutverschmiert aus, an ihrer langen Gummischürze hingen Knochenstückchen und Gehirn. Vera fuhr von dem Bett hoch und strich ihren Rock herunter.
    »Es tut mir leid«, sagte die Ärztin. »Sie können liegenbleiben, Iwan Iwanowitsch. Aber Vera brauche ich. Die Keller sind voll mit Verwundeten, und sie müssen verbunden werden, ehe wir sie in der Nacht zur Wolga bringen lassen.«
    Zwischen stöhnenden Körpern arbeiteten Sukow und drei andere Ärzte. Und auch Major Kubowski war wieder da. Mit einem Schulterschuß. Es war nur eine Fleischwunde, die Sukow kritisch betrachtete und von der er sich zu der unkameradschaftlichen Bemerkung hinreißen ließ: »Der kam Ihnen wohl sehr willkommen, Genosse Major? Er sitzt so goldrichtig dort, wo er absolut keinen Schaden anrichten kann …«
    »Glauben Sie, ich lenke die Kugeln mit Magneten?« fauchte Kubowski. Sukow sah den Major verblüfft an.
    »Das ist eine Idee! Sie sollten sie dem Obersten Sowjet zur Patentierung vorschlagen!«
    »Ein blöder Mensch!« stöhnte Kubowski, als die Pannarewskaja an ihm vorbeikam. »Und so etwas ist Arzt! Man könnte an der Wissenschaft zweifeln, wenn es dich nicht gäbe.«
    Um die Zeit etwa, als Knösel neunhundert Meter weiter westlich in einer Kellerecke hockte und einen Weihnachtsbaum aus brandgeschwärzten Dachlatten zimmerte, ihn mit getrocknetem Gras behängte und ›Schneebällen‹ aus alten Bindenresten, die er zu Kugeln rollte und verleimte, um die Zeit, als Dr. Körner und Pfarrer Webern zu den Sterbenden gingen, zu den Fiebernden, zu den Verfaulenden, um ihnen das Sterben zu erleichtern, hockte Kaljonin wieder in einem Grabenstück, geschützt durch einen dicken Wolfspelz, und starrte hinüber zu den deutschen Bunkern und hinauf in den grauen Himmel.
    Hier, allein auf Posten, durfte er sich erinnern, wie es in seiner Kindheit gewesen war. Zwar gab es schon den Bolschewismus, aber er war noch jung und nicht in allen Hirnen. Die Mutter etwa und auch der Vater, sie lebten geistig noch im Zarenreich. Und sie feierten Weihnachten hinter verschlossenen Türen und verhängten und verklebten Fenstern. Über die Wolga heulte von der Steppe aus Kasachstan her der Eiswind, aber im Ikonenwinkel brannten die Kerzen, und die Mutter sang mit zittriger Stimme die alten Weihnachtslieder. Im Ofen, in der Backröhre, garte ein Kuchen, ein herrlicher Kuchen aus weißem Mehl und gerösteten Sonnenblumenkernen. Papuschka als Herr des Hauses schnitt ihn an und nahm das erste Stück; es roch so feierlich aus dem dampfenden Laib. Es war Weihnachten …
    Kaljonin stützte den Kopf in die Hände. Seitlich von ihm schepperte ein Panzer durch die Straßen. Ein kleiner Trupp Rotarmisten marschierte hinterdrein. Ablösungen, aus Sibirien herangeführt und über das Eis der Wolga gesetzt. Von allen Seiten kamen jetzt Truppen heran, um die Deutschen endlich zu zerdrücken.
    Weihnachten! Friede auf Erden …
    Iwan Iwanowitsch Kaljonin seufzte laut. Man hörte es ja nicht …

8
    Weihnachten. 24. Dezember 1942. Heiliger Abend.
    Überall im Kessel Stalingrad flackerten die Kerzen auf. In den Erdbunkern, in Ställen, in Hütten, in Zelten, in der Steppe wie in den Trümmern der Stadt, in zerschossenen Panzern und unter Planen, vor den verzerrten Gesichtern der Sterbenden und den für einen Augenblick entspannten, hohlwangigen, verschmierten, vergreisten Gesichtern der noch Lebenden.
    An einem Wegweiser in der Steppe hing ein Petroleumlämpchen, und ein Weihnachtsbaum mit richtigen Lichtern brannte auf einer Höhe und leuchtete weithin über das sterbende Land. Es war, als halte

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