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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dr. Portner grinste breit.
    »Sie hält, Pfarrer! Eine gute, alte Gewölbekonstruktion. Und wenn sie nicht hält … dann beten wir, nicht wahr?«
    »Es wird uns ruhiger machen, Doktor, gefaßter …«
    »Wie Opium.«
    Dr. Portner versorgte die Wunde, so gut es ging. Er zog die Wunde zusammen, legte einen Drain ein und verband den Besinnungslosen mit fleckigen Binden. Ein Leichtverwundeter war damit beschäftigt, die Verbände von den Toten abzuwickeln, zu waschen und aufzurollen. Dr. Körner setzte sich neben Pfarrer Webern. Sein junges Gesicht war in diesen Wochen knochig und alt geworden.
    »Wissen Sie, daß mir alles gleichgültig ist?« sagte er. »Ob ich lebe, ob ich krepiere … ich fühle mich wie eine Maschine, die läuft und läuft und ihre Arbeit tut, bis die Räder zerbrechen.«
    Pfarrer Webern nickte. »Sie wissen, ich kenne Ihr Schicksal.« Es war sinnlos, hier mit Worten der Bibel zu sprechen oder mit Tröstungen aus Gottes Liebe.
    »Und Gott billigt das?«
    »Man hat Gott nicht gefragt. Wenn sich die Menschen über Gott miteinander unterhalten würden, gäbe es keine Kriege.«
    »Das hört sich paradiesisch an!« Dr. Portner lachte rauh. Ein neuer Verwundeter wurde auf den Tisch gelegt. Feldwebel Wallritz und ein Sanitäter schleppten ihn herein. Ein Granatsplitter hatte ihm die linke Gesichtshälfte wegrasiert. »Sehen Sie sich den an, Pfarrer! Einmal war er – wie es so schön heißt – ein Ebenbild Gottes. Die Krone der Schöpfung. Jetzt ist er ein blutiger Kloß ohne Gesicht! Wenn er Stalingrad überlebt, wenn er Sibirien übersteht, wenn es außer uns Menschen gibt, die ihn gesundpflegen werden, wird er eines Tages zurückkommen in die Heimat. Ein Mensch mit einem halben Kopf. Vielleicht sogar verblödet. Und seine Frau wird ihn in eine Anstalt schaffen, wird sich scheiden lassen, und dieser Mensch hier, der einmal Pläne hatte, Freude am Leben, der liebte und geliebt wurde, wird dahinvegetieren in einem dumpfen Zimmer, lallend, ein fettschlaffer Körper, auf dem ein halber Kopf sitzt. Und ein Pfarrer wird zu ihm kommen und zu ihm sagen: Gott liebt auch dich!« Dr. Portner sah auf das halbe Gesicht vor sich auf dem OP-Tisch.
    »Pfarrer – hört hier nicht der Glaube auf?«
    »Nein.« Webern schüttelte langsam den Kopf. »Hier fängt er an …« Der Pfarrer erhob sich. Knallend klappte der Sitz zurück. »Warum reden Sie so, Doktor? Ich weiß doch, daß gerade Sie in diesen Tagen Gott erkennen.«
    Dr. Portner ließ die Pinzette sinken, mit der er ein paar Kieferstückchen aus der breiigen Gesichtshälfte herausgeholt hatte. »Warum sind Sie hierhergekommen, Pfarrer?«
    »Ich bin schon seit Tagen in der Stadt. In drei Tagen ist Weihnachten …«
    »Stimmt ja.« Dr. Portner wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Ich wünsche mir vom Christkind eine Flöte, damit ich auf alles pfeifen kann …« Es sollte sarkastisch klingen, aber Pfarrer Webern begriff, welche Verzweiflung hinter diesen Worten stand.
    »Ich bin in Erdhöhlen gewesen, in denen sie aus Latten Weihnachtsbäume zimmern«, sagte er leise. »Auf Säcke und auf Packpapier haben sie Madonnen gemalt, Altäre, Engel, bunte Kugeln. In zusammengelöteten leeren Patronenhülsen gießen sie aus Hindenburglichtern und Tierfett Weihnachtskerzen …«
    »Das Fett sollen sie lieber fressen«, brummte Dr. Portner.
    »Vielleicht werden sie es auch. Aber erst werden diese Kerzen brennen, vielleicht nur für die Länge eines Liedes, für die Spanne einiger Gedanken an die Heimat … und dann wird man die Kerzen in das kochende Wasser werfen und sich freuen, daß auf der Schneebrühe ein paar Fettaugen schwimmen. Ist das nicht Weihnachten, Doktor?«
    Der Stabsarzt sah den Pfarrer erstaunt an. »Und was werden Sie predigen?« Er lachte rauh. »Vom erlösenden Gott, der heute geboren wurde?«
    »Genau das! Von der Erlösung! Vom Frieden auf Erden.«
    »Inmitten einer donnernden, flammenden Hölle!«
    »Erkennt man in ihr nicht um so mehr die Schönheit des Friedens?«
    »Man wird Sie auslachen, Pfarrer!«
    »Nein, man wird beten.«
    »Das möchte ich sehen.«
    »Sie werden es sehen, Doktor. Ich werde in Ihren Kellern die Weihnacht begehen …«
    Dr. Portner wandte sich ab. Auch Dr. Körner, der bis jetzt still zugehört hatte, erhob sich und trat an den OP-Tisch. Durch die Keller zogen Kälte und Wimmern. Die ersten Verwundeten des russischen Trommelfeuers wurden eingeliefert. Zerfetzte Leiber, stöhnende Münder, bettelnde Blicke in den Augen,

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