Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
in immer engeren Kreisen, näher und näher, lauter und lauter. Der Boden unter ihr geriet ins Schwanken, und ihr Magen kehrte sich um.
»Sie … Sie müssen sich irren«, brachte sie mühsam mit trockenem Mund hervor. »Vielleicht kennen wir uns tatsächlich irgendwoher. Aber nicht von dort. Ich war nie auf einer Mittelschule. Bitte … bitte entschuldigen …« Sie wandte sich um, leerte ihr Glas mit einem Zug und übergab es mit zitternden Fingern einem der Diener, bevor sie mit unsicheren Schritten zur Veranda ging.
»Aber ich erinnere mich doch noch genau«, schnitt ihr die Stimme von Emma Merselius in den Rücken. »Du bist doch damals mitten im Jahr …«
Floortje hatte gerade einen Fuß auf die Veranda gesetzt, als sie hinter sich erregte Stimmen hörte und etwas klirrend zu Bruch ging. Langsam, als müsste sie den Anblick dessen fürchten, was sich hinter ihr abspielte, wandte sie sich um.
Mit wutverzerrtem Gesicht hielt James Herrn Merselius am Hemdkragen gepackt und schnauzte ihn auf Malaiisch an; Edu brüllte dazwischen und bemühte sich nach Leibeskräften, Merselius, der sich lautstark und mit hochrotem Kopf zur Wehr setzte, aus James’ Griff zu befreien; dann fasste sich auch Herr Begemann ein Herz und packte unter malaiischen Zurufen, die halb besänftigend, halb wie ein Befehl klangen, James bei den Schultern. Die anderen Gäste sahen teils entsetzt, teils fasziniert zu und tuschelten; Frau Begemann hatte den Arm um die Schultern von Marlies van Hassel gelegt, während Frau Hoebacke mit erschütterter Miene eine erschrockene Emma Merselius an sich drückte. Kakadu und Papagei schlugen kreischend mit den Flügeln, und irgendwo war das Winseln von Dixie zu hören.
James’ Blick traf sich mit dem Floortjes, und sofort ließ er Merselius los. Mit versteinerter Miene kam er auf Floortje zu und fasste sie hart beim Ellenbogen. Widerstandslos ließ sie sich von ihm ins Haus zerren.
Er riss eine Tür auf und stieß sie in den Raum hinein, dass sie vorwärtstaumelte, und schlug die Tür hinter sich zu.
»Sag mir, dass das nicht wahr ist«, sprach er sie mit überdeutlicher Betonung an; sie konnte heraushören, wie viel Kraft es ihn kostete, annähernd ruhig zu bleiben. »Sag mir, dass es nicht wahr ist, was ich da draußen über dich gehört habe.«
Benommen verharrte Floortje auf der Stelle und ließ ihre Augen durch den Raum wandern. Ein Schlafzimmer, mit Bett, Waschtisch und Schrank nüchtern eingerichtet, beinahe spartanisch, vermutlich das von James.
»Sag mir, dass das nur ein übler Scherz von diesem Merselius war.«
Sie schwankte, als langsam, aber unaufhaltsam aus der Tiefe ihrer Seele die Erinnerung in ihr aufschäumte wie die Flutwelle eines schwarzen Ozeans.
»Antworte mir!« Wie ein Donnerschlag hallte seine Stimme durch den Raum und riss sie aus ihrer Erstarrung. Mit schweren Beinen, die Füße bleiern, schleppte sie sich vorwärts, als ginge sie durch Treibsand. Kraftlos ließ sie sich auf die Bettkante fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.
Fast in derselben Haltung hatte sie damals auf einem der beiden Holzstühle gesessen, die stramm geflochtenen Zöpfe schwer auf dem Rücken der weißen Bluse. Sie musste sich nicht sonderlich anstrengen, um sich an den Raum zu erinnern. An die Ölgemälde und die Landkarten an den Wänden, an den massiven Schrank neben der Tür, der hinter seinen Glastüren zahlreiche Bücher verwahrte. Auf der anderen Seite des Türrahmens hatte die langgezogene braune Kommode gestanden und daneben das braune Sofa mit dem niedrigen ovalen Tisch davor. Ihre Leistungen lassen sehr zu wünschen übrig, Floortje. Der gesamte Lehrkörper beklagt, dass Sie in den Unterrichtsstunden vor sich hinträumen und ständig Ihre Aufgaben vergessen. Ich wollte erst hören, was Sie dazu zu sagen haben, ehe ich Ihren Onkel darüber in Kenntnis setze. Floortjes Herz hatte angstvoll gegen ihre Rippen geschlagen. Tante Cokkie und Onkel Ewoud würden außer sich sein; sie hatten es so gut mit ihr gemeint, sie nach Leeuwarden auf die Mittelschule zu schicken, hatten nicht eher geruht, bis sie Claas Dreessen das Schulgeld abgerungen hatten, wenn er schon seiner Tochter nie schrieb, und den Rest für Kost, Logis und Bücher aus eigener Tasche zugeschossen. Bedrückt Sie denn etwas, Floortje? Haben Sie Kummer? Vorsichtig hatte sie zwischen den Fingern hindurchgeblinzelt, über den breiten, ausladenden Schreibtisch hinweg, auf dem sich zwischen gerahmten Photographien Bücher,
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