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Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Mappen und Papierstöße stapelten.
    Gemütlich in seinem ledergepolsterten Stuhl zurückgelehnt und die Hände über dem gutgenährten Leib gefaltet, der die gestreifte Weste spannen ließ, hatte Rektor Albertus van Wyck aufmerksam den Blick seiner himmelblauen Augen auf ihr ruhen lassen. Sein graumeliertes Haar trug er stoppelkurz, und sein rundes, bärtiges Gesicht erinnerte Floortje mit der spitzen, aufwärts gerichteten Nase und dem kleinen, rosigen Mund immer an einen freundlichen Igel. Ich würde Ihnen ja gerne helfen, Floortje – aber das kann ich nur, wenn Sie mir sagen, was mit Ihnen los ist. Noch nie hatte sie jemand gefragt, was sie beschäftigte oder bedrückte. Die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, die Güte, die er ihr in seiner Stimme und seinem Mienenspiel entgegenbrachte, lösten Floortjes Zunge. Erleichtert, dass ihr endlich jemand zuhörte und ihren Kummer nicht einfach wegwischte wie eine lästige Fluse, hatte sie ihr Herz ausgeschüttet. Wie sehr sie sich von den anderen Mädchen abgelehnt fühlte und wie schwer es ihr fiel, sich mit ihnen anzufreunden, obwohl sie sich solche Mühe gab, nett zu ihnen zu sein. Dass sie nicht aufhören konnte, davon zu träumen, dass ihr Vater eines Tages zurückkam und sie abholte und sie bei ihm leben konnte und bei Piet. Und wie groß ihre Angst war, noch die letzten Erinnerungen an ihre Mutter zu verlieren, die jetzt schon so lange tot war, sodass sie nicht anders konnte, als sich wie unter einem Zwang ständig ihr bereits verblassendes Gesicht, ihre Stimme und ihren Duft ins Gedächtnis zu rufen.
    Erst als er ihr über den Tisch hinweg sein akkurat gefaltetes Taschentuch reichte, hatte sie gemerkt, dass sie weinte. Das tut mir alles schrecklich leid für Sie, Floortje, und ich wünschte, ich könnte daran etwas ändern. Aber das Einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist, dass Sie nachmittags nach dem Unterricht zu mir kommen und wir den versäumten Stoff nachholen. Damit Sie nicht noch völlig den Anschluss verlieren. Aus nassen Augen hatte Floortje ihn angestarrt. Das würden Sie wirklich tun? Wohlwollend hatte er gelächelt und genickt. Natürlich. Ich bin schließlich verantwortlich für Sie.
    »Es stimmt also.« Floortje konnte hören, wie James schwer atmete; ein Krachen, als ob er einem Möbelstück einen Faustschlag verpasst hatte, ließ sie zusammenzucken. »Herrgott, um ein Haar hätte ich diesen Merselius zum Duell gefordert für diese ungeheure Beleidigung! Wie alt warst du? Fünfzehn?«
    Vierzehn. Ich war vierzehn.
    Überglücklich hatte sie die Klassenarbeit in den Händen gehalten, in der nicht nur ungewohnt wenig rot angestrichen, sondern die sogar noch gut benotet worden war. Auf dem braunen Sofa im Rektorat war sie gesessen, auf demselben Sofa, auf dem sie mit Herrn van Wyck in den letzten Monaten jeden Tag ein bis zwei Stunden lang Englisch, Deutsch, Landeskunde und Algebra gepaukt hatte, am späten Nachmittag, wenn alle anderen schon gegangen waren. Glückwunsch, Floortje, ich bin stolz auf Sie! Den Arm um ihre Schultern gelegt, hatte er sie an sich gedrückt. Wie er oft den Arm um sie legte, wenn er ihr etwas erklärte, oder die Hand ebenso nebensächlich wie selbstverständlich auf ihrem Knie ruhen ließ, wenn er ihr eine Tasse heißer Schokolade oder Tee reichte und die Schachtel mit belgischen Pralinen, die oft auf dem Tisch lag.
    Noch fester hatte er sie an jenem Tag an sich gedrückt, ihr über die Wange gestrichen und ihr tief in die Augen gesehen. Du bist etwas Besonderes, Floortje. Du bist nicht nur schön, sondern begabt. Voller Seligkeit und ein bisschen verlegen hatte sie ihn angelächelt. So schön bist du, Floortje ,hatte er gesagt und seinen Mund auf ihren gepresst. Erschrocken hatte sie die Luft angehalten. So schön , hatte er gegen ihre Lippen gemurmelt. Ich liebe dich. Floortjes Herz hatte heftig gepocht. Er liebte sie – Albertus van Wyck, der Rektor der Schule, der schon über fünfzig war und verheiratet und vier Kinder hatte, liebte sie!
    Sie zuckte zusammen, als er seine Zunge in ihren Mund schob; er schmeckte komisch, ein bisschen staubig und metallisch und nach abgestandenem Kaffee, und sein Kuss hinterließ nasse Spuren rings um ihren Mund. Aber er war der Rektor und so freundlich zu ihr gewesen, und er liebte sie. Und es fühlte sich schön an, als seine Hand sich auf ihre Brust legte, die so schnell gewachsen war, dass die weiße Bluse darüber zu knapp saß, und wie seine Hand dann den langen dunkelblauen

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