Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
nächsten Wellental, in das das Schiff hineinsackte, jagte die Übelkeit erneut durch Jacobinas Körper, und etwas zerbarst in ihr. Aufschluchzend drückte sie das Gesicht ins Kissen; heiße Tränen rannen aus ihren Augen und durchfeuchteten den Leinenstoff. Sie verging vor Scham, derart bloßgestellt zu sein, und zu hören, wie Floortje davoneilte, ihre Schritte unregelmäßig durch das Schlingern des Dampfers, vermochte daran nichts zu ändern.
Die Schritte kamen zurück, klangen verdoppelt, und Floortjes Stimme lieferte sich einen schnellen Wortwechsel mit der tieferen eines Mannes. Das Plätschern von Wasser drang an Jacobinas Ohr, das leise Klirren von Geschirr, das satte Geräusch eines Wischmops und das Scheppern eines Eimers auf den Holzbohlen; dann fiel die Tür ins Schloss.
»Jacobina«, wisperte Floortje neben ihr, »Jacobina.« Aber erst als das Rütteln an ihrer Schulter nicht nachließ, blinzelte sie schniefend aus dem Kissen hervor.
Ein wenig blass um die Nase kniete Floortje auf dem feucht glänzenden Boden vor der Koje und lächelte sie verlegen an. »Hier.« Sie hob Jacobina eine Tasse entgegen, aus der Dampf aufstieg. »Kräutertee. Der tut dir gut.«
Jacobinas Magen bäumte sich auf unter dem medizinischen Geruch, und sie deutete ein Kopfschütteln an.
»Keine Widerrede!« Floortje zerrte an ihr herum und gab so lange keine Ruhe, bis sie Jacobina ein Stück weit aufgerichtet hatte. Mit der einen Hand stützte sie sie unter der Schulter und hielt ihr mit der anderen die Tasse an die aufgesprungenen Lippen. Schluckweise flößte Floortje ihr den Tee ein, der den schlechten Geschmack in ihrem Mund löschte und die trockene Kehle nässte. »So ist’s gut«, flüsterte Floortje und half Jacobina, sich wieder zurückzulegen. Müde schloss Jacobina die Augen, blinzelte gleich darauf erschrocken, als Floortje ihr mit einem feuchten Tuch über das Gesicht fuhr, seufzte dann aber wohlig auf.
»Der Steward meinte, du solltest an Deck gehen«, sagte Floortje leise, während sie Jacobina den Hals und die Hände abrieb, »und den Horizont im Auge behalten. Zusammen mit der frischen Luft würde das gegen Seekrankheit helfen.«
Jacobina versuchte wieder ein Kopfschütteln, aber die aufwallende Übelkeit und der erneut einsetzende Schwindel hielten sie davon ab. »Kann … nicht«, murmelte sie. »So … schlecht.«
Einige Herzschläge lang war es still in der Kabine; nur das Tosen des Windes und das Krachen der Wellen gegen die Außenhaut des Schiffs waren zu hören. Das Poltern von Schuhen auf Bodendielen, Stoffgeraschel und schnelle Bewegungen neben und über ihr ließen Jacobina aufschrecken. Unter schweren Lidern sah sie zu, wie Floortje mit gerafften Röcken über sie hinwegkletterte, in die Koje hinein, um sich in den Spalt zwischen ihr und der Wand hineinzuzwängen.
Nicht. Bleib weg. Jacobina brachte kein Wort heraus, und ihrem Körper fehlte jede Kraft für eine abwehrende Geste. Nein. Nicht. Ein Wimmern entfuhr ihr, als Floortje sich neben ihr ausstreckte; Floortje, die sich so warm anfühlte, viel zu warm, und einen viel zu süßen Blütenduft verströmte und der Jacobina nicht entrinnen konnte, so schmal sie sich auch zu machen versuchte. Überrumpelt kam sie sich vor und wie in einer Falle. Sie war es nicht gewohnt, einem anderen Menschen so nahe zu sein, und sie wollte es auch nicht. Sie rang nach Luft, als Floortje ihren Brustkorb mit einem Arm umschlang und sie festhielt, ihr mit der anderen Hand über das strähnige Haar strich. Und sie suchte Floortjes Atem zu entgehen, der in ihr Ohr flüsterte: »Arme Jacobina. Armes Mädchen. Morgen geht’s dir schon viel besser.«
Ein hartes, schmerzendes Knäuel bildete sich in ihrer Brust und wanderte aufwärts in ihre Kehle, erstickte sie beinahe und zerplatzte dann in einer Folge von Schluchzern. Krampfhaft und kläglich zuerst, ließ jeder dieser Schluchzer sie nach und nach leichter Atem schöpfen.
»Hör zu, ich erzähl dir was«, flüsterte Floortje. »Als ich fünf war, hat mir mein Vater ein Kleid gekauft. Ein wunderschönes Samtkleid, rot wie Klatschmohn, niemand sonst hatte ein solches Kleid. Es hatte einen langen weiten Rock, und wenn ich mich im Kreis drehte, bauschte er sich auf. Ich habe mich schneller und immer schneller gedreht, und höher und immer höher flog der Saum, bis der Rock wirklich aussah wie eine Mohnblüte. Ich hab mich noch schneller gedreht, bis mir ganz schwindelig war, aber ich konnte einfach nicht aufhören.«
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