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Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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abzuwenden.
    Die Unterarme auf der Armlehne überkreuzt und das Kinn darauf gelegt, hatte Floortje den beiden zugesehen. »Du kannst gut mit Kindern.«
    Jacobina zuckte mit den Schultern. »Das war ja nun keine große Sache.« Umständlich setzte sie sich wieder auf der Liege zurecht.
    Sie mochte nicht zugeben, wie wenig Erfahrung sie tatsächlich darin hatte; ihr Umgang mit Kindern beschränkte sich auf wenige Stunden während der einen oder anderen Feier, in denen sie davor geflohen war, vor aller Augen als Mauerblümchen herumzusitzen oder von ihrer Mutter wieder einmal einen Herrn vorgestellt zu bekommen. Stunden, in denen sie sich daran freute, den Kinderfrauen und ihren Zöglingen zuzuschauen, daran, ein Lied beizusteuern oder einen Abzählvers und wie selbstverständlich die Kinder sie in ihr Spiel miteinbezogen; Stunden, in denen sie ihr sonstiges Dasein vergessen konnte. Und so wie Frau de Jong sie in keinem ihrer Briefe nach ihrem Erfahrungsschatz gefragt hatte, hatte Jacobina es ihrerseits vermieden, von sich aus dazu Angaben zu machen.
    Sie kam sich vor wie eine Hochstaplerin, und unter Floortjes unverwandtem Blick verschanzte sie sich hinter ihrem Buch, ohne auch nur eine Zeile davon in sich aufzunehmen. Erleichtert sah sie aus dem Augenwinkel, wie Floortje sich auf der anderen Liege ausstreckte, die aneinandergelegten Hände zwischen Kopf und Polster schob, die Wange dagegenschmiegte und die Augen schloss.
    »Ich finde«, murmelte Floortje nach einer Weile, »manchmal muss man sich einfach das nehmen, was einem das Leben bisher verweigert hat. Ohne Wenn und Aber. Ohne Gewissensbisse. Und dann muss man alles auf eine Karte setzen.«
    Jacobina gab keinen Laut von sich. Als Floortje irgendwann ein Rascheln hörte, blinzelte sie und beobachtete verstohlen unter gesenkten Lidern, wie Jacobina sich aus ihrer Jacke schälte, sie zusammenfaltete und sorgsam über die Armlehne hängte. Einige Augenblicke lang schien sie mit sich zu ringen; dann schlüpfte sie hastig aus ihren Schuhen und zog mit einem kaum hörbaren, wohligen Aufseufzen die Beine unter sich, bevor sie erneut zu ihrem Buch griff.
    Floortje schloss die Augen und kuschelte sich mit einem zufriedenen Lächeln tiefer in das Polster.

5
    Am Horizont hob sich der seidige Vorhang aus Azur, Kobalt und Saphir und enthüllte nach und nach die Küste. Über Nacht war der Orient in Sichtweite und bald darauf auch in greifbare Nähe gerückt.
    Leicht und luftig wirkten die klaren Linien und geometrischen Formen Alexandrias. Vor dem Indigoblau von Wasser und Luft traten die Mauern und Kuppeln in Elfenbein und Ingwer, in Champagner und Leinenweiß noch leuchtender hervor, und die Minarette erinnerten an Bänder aus gealterter Spitze. Beinahe schwerelos mutete Alexandria an, wie eine Stadt aus Meeresschaum.
    Sachlich und zweckmäßig zeigte sich hingegen Port Said. Überragt von den Lastkränen, reihten sich Lagerhäuser, Kontore und Zollgebäude auf den flachen Sandinseln am Ufer auf und gingen dahinter in Restaurants, Hotels und einige wenige Wohnhäuser über. Kisten, Fässer und Säcke wurden verladen; schwerfällige Dampfschiffe, imposante Mehrmaster und kleinere Segler warteten in der Fahrrinne des aus dem Sand der Wüste gegrabenen Kanals auf ihre Weiterfahrt oder schoben sich langsam durch das Wasser hindurch. Zwischen den wartenden Droschken und Eselskarren lungerten Bettler auf dem Kai herum und Männer, die darauf warteten, den Reisenden Dienste jedweder Art aufzudrängen; sobald ein Koffer in Sicht war, sprangen eilfertig Träger herbei. In deutschen, englischen, französischen und italienischen Sprachbrocken priesen fliegende Händler ihre Straußenfedern, Ansichtskarten, Fächer und Streichhölzer an; braunhäutige Schuhputzjungen in losen Gewändern suchten sich bürstenschwingend gegenseitig zu übertönen, und über allem lag ein feiner Dunst aus Kohle und Ruß.
    Hinter Port Said war das Gesicht des Orients spröde und karg. Verwittert von Sonne und Wind, vom Meer und von der Zeit blieb die Küste kahl; nur vereinzelt zitterte eine struppige Dattelpalme im Wind. Sand häufte sich zu Dünen auf, die den Leibern zusammengekauerter Kamele ähnelten, und Boote mit weißen Dreieckssegeln dümpelten auf einem nackten See, von dem Vogelschwärme kreischend aufstiegen. Zerklüftete Bergwälle und Felswände in Schattierungen von Sepia und Rost bedrängten den Weg des Dampfers auf der einen Seite; auf der anderen faltete sich Stein zusammen wie

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