Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
umherrutschte und das Gemüse über den Tellerrand kullerte. Amüsiert schaute sie den Stewards zu, die alle Mühe hatten, die mit Speisen beladenen Platten heil zu servieren. Lustiger wäre es jedoch gewesen, das Schauspiel zusammen mit Jacobina zu beobachten; wie manch anderer Platz im Speiseraum war aber auch ihrer seit dem Vorabend verwaist geblieben. Zaghaft hob Floortje die Hand, hielt kurz inne und pochte dann doch mit dem Fingerknöchel an die Tür.
»Jacobina?«, rief sie gedämpft. »Ich bin’s, Floortje! Ich wollt nur nach dir sehen. Geht’s dir gut?« Angestrengt spitzte sie die Ohren, und als sie nichts hörte, klopfte sie noch einmal. »Jacobina?«
Jacobina machte sich in ihrer Koje stocksteif und hielt sogar den Atem an. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie so sah. Es hatte sie alle Kraft gekostet, sich in der Früh zur Tür zu schleppen und den Steward auf seiner morgendlichen Runde abzuwimmeln. Nein, heute nicht. Nein, vielen Dank, ich brauche nichts. Danke. Keiner sollte sie so sehen. Keiner – schon gar nicht Floortje. Floortje, die gestern an der Reling jede hoch aufschießende Welle bejubelt hatte und dabei wie eine frisch erblühte Rose ausgesehen hatte. Während Jacobina sich wie zerschlagen gefühlt hatte und wusste, dass man ihr an den verquollenen Augen das Pochen unter ihrer Schädeldecke ansah und an der aschenen Blässe, wie schwindelig ihr war.
Geh weg , wollte sie rufen, lass mich allein! , aber eine neue Woge der Übelkeit schwappte durch sie hindurch, und gequält schloss sie die Augen.
Floortje knabberte angespannt auf ihrer Unterlippe herum. Womöglich war es keine gute Idee gewesen, hierherzukommen; womöglich hatte Jacobina einfach genug von ihr und ließ sich deshalb nicht mehr an Deck und im Speiseraum sehen. Ein Gedanke, bei dem Floortje den Kopf hängen ließ.
Sie konnte gut für sich sein, wenn es sein musste. Sie war lieber in Gesellschaft, aber wenn es sich nicht ändern ließ, kam sie allein zurecht; schließlich blieb ihr immer noch die Möglichkeit, sich in ihre Träumereien zurückzuziehen, in denen sie sich nie einsam fühlte. Träumereien, in die sie sich hier an Bord nicht mehr flüchten musste, weil es Jacobina gab. Mit Jacobina war sie gern zusammen, und das nicht nur, weil es sich so ergeben und sie sich daran gewöhnt hatte. Alles schien ihr bunter und lebendiger, wenn sie es mit Jacobina zusammen erlebte, und obwohl sie anfangs sehr wohl gespürt hatte, wie Jacobina ihr mit Vorbehalten begegnete, schien sie sie inzwischen ernst zu nehmen, vielleicht sogar zu mögen. Auch wenn Jacobina sich oft nicht so verhielt, wie Floortje es erwartet hätte. Ohne dass sie den Grund dafür ausmachen konnte, gab sich Jacobina mal unvermutet zugänglich, dann wieder kühl und auf Abstand bedacht. Und bei der Vorstellung, dass sie vielleicht etwas Falsches gesagt oder getan und Jacobina damit verprellt hatte, zog sich ihr Magen zusammen.
Vielleicht aber ging es Jacobina tatsächlich nicht gut, so wie Frau Teuniszen, Frau Junghuhn, wie Frau Verbrugge und ihrer kleinen Tochter und zweien der Rekruten.
Ein für Floortje neues, befremdliches Gefühl der Scheu lag im Widerstreit mit der Besorgnis, die sie hierhergetrieben hatte. Schließlich gab sie sich einen Ruck und klopfte erneut. »Jacobina? Bist du da drin?« Jenseits der Tür blieb alles still. »Jacobina? Darf ich reinkommen?«
Verstohlen prüfte sie, ob die Tür abgeschlossen war; dann fasste sie sich ein Herz, schob sie einen Spaltbreit auf und spähte in die Kabine hinein, öffnete die Tür weiter und trat halb über die Schwelle. »Jacobina, entschuldige, dass ich …«
Jedes weitere Wort blieb ihr in der Kehle stecken. Aus matten Augen sah ihr Jacobina entgegen, das Gesicht speckig, talgbleich und grünlich verfärbt, das Haar plattgedrückt und strähnig. Die Luft in der Kabine war erstickend, abgestanden und verbraucht, getränkt vom stechenden Geruch der halb aufgetrockneten Pfütze aus Erbrochenem auf dem Boden.
Floortjes Magen drehte sich um; es würgte sie im Hals, ein saurer Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus, und ihre Knie wurden weich.
Jacobina war vor Schreck wie gelähmt. Sie konnte einfach nur zurückstarren, in unfassbarem Entsetzen, dass sie vergessen hatte, die Tür abzuschließen, und dass Floortje so dreist gewesen war, einfach einzutreten. Ausgerechnet Floortje, die in ihrem lindgrünen Kleid so frisch aussah und auf deren Zügen sich nun Ekel und Abscheu spiegelten. Mit dem
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