Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Sie machte eine kunstvolle Pause.
»Und dann?«, hauchte Jacobina folgsam.
»Dann? Dann bin ich auf meinem Hinterteil gelandet. Mir war speiübel, und ich habe noch eine ganze Weile danach die Sternchen vor den Augen tanzen gesehen.« Floortje kicherte, und auch um Jacobinas Mundwinkel flatterte ein Lächeln.
Mehr jedoch deshalb, weil Floortjes warmer Körper ihr Halt gab und das Schwanken des Schiffs ein bisschen abschwächte. Weil die Hand, die ihr über den Kopf streichelte und ihr die Tränen wegwischte, und das fortwährende sanfte Gemurmel Floortjes mehr und mehr etwas Tröstliches bekamen.
Einfach deshalb, weil Floortje da war und bei ihr blieb.
6
Die Morgenluft auf dem leeren Deck war von einer belebenden Frische wie der Duft von Minze. Zaghaft atmete Jacobina sie ein, als ob sie fürchten musste, ihr könnte erneut schwindelig werden. Doch ihr Kopf blieb klar, und sie holte tiefer Atem. Sie fühlte sich noch etwas wackelig auf den Beinen, aber ungleich lebendiger als am Vortag, beinahe wie neugeboren.
Die Raserei des Meeres hatte sich erschöpft. Munter tanzte die Prinses Amalia auf den Wellen, die den Rumpf des Dampfers umspielten. Mit einer ruppigen Zärtlichkeit, wie entschuldigend, dass er an den Tagen zuvor so ungestüm gewesen war, zupfte der Wind an Jacobinas Rocksaum und an den Kanten ihrer offenstehenden Jacke. Erst als er einzelne Strähnchen aus ihrer strengen Frisur löste und damit herumtändelte, merkte Jacobina, dass sie ihren Hut vergessen hatte. Deshalb umzukehren lohnte sich nicht, schließlich würde wohl zu dieser frühen Stunde niemand außer ihr hier oben sein, und die Sonne des jungen Tages war noch blass und schwach. Jacobinas Mund verzog sich zu einem kleinen Schmunzeln angesichts ihrer Nachlässigkeit; sie trat unter dem Schattendach hervor, blieb aber nach wenigen Schritten wieder stehen.
Gegen den gläsernen Himmel zeichnete sich Floortjes Gestalt ab. Vornübergebeugt stand sie an der Reling, die Arme aufeinandergelegt und die Wange dagegen ruhend; ihr in die Höhe gerecktes Hinterteil pendelte hin und her und ließ den Rock ihres Kleides, blau wie das Meer und von einer scharlachroten Bordüre geziert, mitschwingen. Wie in einem Tanz kreuzte sie ein Bein hinter das andere, stellte den Fuß auf der Spitze ab und ließ die Ferse rhythmisch auf und ab wackeln, und ihr Haar, das ihr über den Rücken und die Schultern fiel, bewegte sich in der Brise, als führte es ein Eigenleben. Unvermittelt richtete sie sich auf, stützte sich auf den obersten Holm, stieg mit beiden Füßen auf die unterste Querstrebe und reckte sich zum Himmel, als wollte sie jeden Augenblick davonfliegen.
Jacobina machte auf Zehenspitzen einen Schritt rückwärts, hielt inne, konnte sich aber auch nicht dazu durchringen, auf Floortje zuzugehen. Die wohltuende Nähe zu ihr, die ihr am Vortag in der Enge der Kabine schließlich so natürlich vorgekommen war, schien ihr heute fast wie ein Fiebertraum. Unschlüssig, was sie tun sollte, verlagerte sie das Gewicht von einem Bein aufs andere.
Floortjes Kopf fuhr herum, dass ihr das Haar um die Schultern tanzte.
»Jacobina!«, rief sie, und ihre Stimme schlug dabei einen Purzelbaum. Auf ihrem Gesicht, von der Sonne blassgolden getönt, sprang ein Strahlen auf, und ihre Augen funkelten mit dem Meer um die Wette. »Guten Morgen!«
Jacobinas Herz machte einen kleinen Satz, und verlegen ging sie zur Reling. »Guten Morgen«, erwiderte sie leise.
»Ist das schön, dich wieder wohlauf zu sehen!« Schwungvoll hüpfte Floortje auf die Decksplanken herunter und pustete sich eine lose Strähne aus dem Gesicht. »Bisschen blass bist du allerdings noch … Dir geht’s doch wieder gut, oder?« Liebevoll strich sie Jacobina über den Arm.
Jacobina nickte. Scheu sah sie auf die gekräuselte Oberfläche des Meeres hinaus. »Ich … ich wollte mich noch bei dir bedanken. Dafür, dass du gestern … ich meine …« Sie warf Floortje unstete Seitenblicke zu.
Floortje klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne und lächelte verhalten, aber die Freude war ihr anzusehen. »Hab ich doch gern gemacht!« Sie senkte den Kopf und fügte leiser hinzu. »Dafür sind Freundinnen doch da. Oder etwa nicht?« Offen sah sie Jacobina wieder an, eine unausgesprochene Bitte im Blick.
Jacobina wich dem Blick aus und stopfte bemüht sorgfältig mit dem Zeigefinger eine Falte ihrer Bluse fester in den Bund des Rocks, während sie krampfhaft nach den richtigen Worten suchte. »Sieh mal,
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