Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Java und Sumatra vermisst hatte.
Sie löste ihre Wange von seiner und sah ihn an. Edward faszinierte sie, nicht allein durch sein fremdländisches, exotisches Aussehen und sein mondänes Auftreten; er kam aus einer vollkommen anderen Welt als sie. In Hongkong geboren, als Enkel eines Holzschnitzers aus Guandong, der zum Christentum übergetreten war, um Blöcke für die Druckerpressen einer Missionarsgesellschaft anfertigen zu können, war er mit dreizehn nach England zur Schule geschickt worden und hatte dort auch Medizin studiert. Was er von sich und seiner Familie erzählte, öffnete Jacobina eine Tür in eine fremde, reizvolle Welt. Von seinem Vater, einem chinesischen Pastor aus Überzeugung, wusste sie, dass er zwar noch traditionell mit einer Frau verheiratet worden war, die seine Eltern für ihn ausgesucht hatten, aber durchgesetzt hatte, dass die Trauung nach christlichem Ritus vollzogen wurde, und dass er seiner Braut als Erstes lesen und schreiben beibrachte. Durch geschickte Geldanlagen zu Reichtum gekommen, verbrachte er seinen Ruhestand zwischen chinesischer Kalligraphie und der Planung und dem Bau kleiner mechanischer Spielzeuge. Von seinen Brüdern hatte Edward erzählt, die, der eine als Dolmetscher, der andere als Anwalt, in der Verwaltung Hongkongs tätig waren, und von seiner Schwester, die er in Singapur besucht hatte, wo sie gerade ihren Hausstand auflöste, bevor sie nach San Francisco reisen würde, weil ihr Mann dort eine neue Stellung als Diplomat angetreten hatte. Und von der Stelle, die er in einem Hospital von Hongkong angeboten bekommen hatte, erzählte Edward ihr; von seinem Wunsch, etwas in der Stadt zu verändern und die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, so wie er nach dem frühen Tod seiner Mutter den Wunsch verspürt hatte, Arzt zu werden. Er hegte jedoch Zweifel, ob sich seine Pläne in einer Stadt wie Hongkong verwirklichen lassen würden, Zweifel, die ihn dazu bewogen hatten, erst einmal nach Singapur zu fahren und anschließend noch einen Studienfreund in Amsterdam zu besuchen, um Klarheit über seine Wünsche und Ziele zu erlangen und schließlich seine Entscheidung zu treffen.
Die Welt, aus der Edward kam und in der er lebte, schien Jacobina gleichermaßen schillernd wie geerdet, weltoffen und sich doch ihrer Wurzeln bewusst. Nicht wie die nüchterne Schwere, aus der Jacobina kam, nicht wie der Kontrast zwischen farbenprächtiger Üppigkeit und hitziger Grausamkeit, den sie auf Java und Sumatra kennengelernt hatte.
Das ohrenbetäubende Horn eines ablegenden Dampfers riss Jacobina aus ihren Gedanken.
»Oh«, machte Ida und drehte das in den Nacken gelegte Köpfchen zwischen den beiden Erwachsenen hin und her, die Hände, mit denen sie sich zuvor an einem der unteren Holme der Reling festgeklammert hatte, auf die Ohren gepresst. Jacobina und Edward brachen in Lachen aus, und auch Ida zeigte ein scheues Lächeln. Edward tat ihr gut; in seiner Gegenwart, wenn er mit ihr spielte und auf Englisch mit ihr sprach, schien sich Ida zunehmend aus ihrer Schockstarre zu lösen, sodass Jacobina zu ihrem eigenen Entsetzen manchmal fast so etwas wie Eifersucht verspürte. Dabei tat Edward auch ihr gut; trotz aller Neckereien fühlte sie sich von ihm ernst genommen und irgendwann auch umworben, sodass sie nicht allzu überrascht gewesen war, als er sie vor ein paar Tagen das erste Mal küsste, vielleicht auch, weil sie insgeheim darauf gewartet hatte. Sie liebte seine Küsse, die nach Tabak und Sandelholz und manchmal nach Minze schmeckten, die bei Tag sanft und zärtlich waren, des Nachts jedoch, im Schein der blassen Laterne vor Jacobinas Kabinentür, während Ida in ihrem Bettchen schlief, so fest und fiebrig sein konnten, dass es ihr den Atem nahm, und wenn er sie dabei an sich presste, löste sein Körper, sehnig und hart, genauso langgliedrig und schlank wie der ihre, ein heißes Verlangen in ihr aus.
»Frutti! Frutti freschi! Frutti!« , riefen die Männer und Frauen unten in ihren Booten und hielten Körbe mit leuchtenden Orangen und Mandarinen empor, und die Blumenhändler schwenkten bunte Sträuße über ihren Köpfen. »Fiori! Fiori belli!«
»Warte kurz«, sagte Edward und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor er über das Deck lief, hin zu zwei anderen Passagieren und einer Handvoll Besatzungsmitglieder, die sich mit den Händlern unten ein munteres, radebrechendes Schwätzchen lieferten und noch den Preis für Obst aushandelten.
Jacobinas Herz klopfte
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