Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
ihr Herz verfiel in einen angstvoll stolpernden Takt. »Aber Ida hat doch sonst niemanden mehr!«
»Das weiß ich«, seufzte Herr Achterkamp. »Sowohl die Achterkamps als auch die de Jongs sind abgestorbene Baumstümpfe, aus denen nichts mehr hervorwächst. Außer Ida.« Mit unsicheren Fingern schlug er die Mappe auf und drehte sie herum, sodass Jacobina einen Blick auf ein sehr offiziell aussehendes Dokument erhaschen konnte. »Ich habe bereits alles mit dem Notar besprochen, er wird die Vereinbarung beglaubigen. Ich wollte Sie mir nur erst noch ansehen, bevor ich unterschreibe. Mit diesem Dokument«, sein Zeigefinger tippte auf den Rand der Mappe, »übertrage ich Ihnen die Vormundschaft über Ida Louisa de Jong. Und die Verwaltung des Erbes, das sie von mir zu erwarten hat.« Aus der Innentasche seine Jacketts zog er einen Füllfederhalter hervor und hielt ihn Jacobina hin. »Sie und Ihr Gatte müssen nur noch unterzeichnen, wie es das Gesetz verlangt.«
Jacobina starrte ihn betreten an und presste Ida fest an sich. Den Tumult aus Glück, Fassungslosigkeit und Verzweiflung, der in ihr herrschte, musste Herr Achterkamp ihr angesehen haben, denn verunsichert fügte er hinzu: »Sie sind doch verheiratet? Oder habe ich da etwas durcheinandergebracht?«
So schnell es Idas Gewicht auf ihrer Hüfte zuließ, hastete Jacobina die Straße entlang, die ihr wie eine einzige graue Masse vorkam. Nach Java und Sumatra schien ihr hier in Amsterdam alles grau zu sein: die Häuser und der Himmel, der tief über den Dächern hing, die Pferde und die Kutschen, die sie zogen, die Kleidung der Menschen und ihre Gesichter. Einfach nur grau, trostlos und bedrückend.
»Jacky!«, hörte sie Edward hinter sich rufen. »So bleib doch stehen! Jacky!«
Aber Jacobina konnte nicht stehen bleiben. Kaum dass sie aus dem Haus getreten war und Edward in zwei knappen Sätzen zugeworfen hatte, was die Bedingung dafür war, dass Ida bei ihr bleiben konnte, hatte das unbändige Bedürfnis von ihr Besitz ergriffen, so schnell und so weit zu laufen wie nur möglich, als befände sie sich einmal mehr auf der Flucht.
Erst als ihr Ida zu schwer wurde und sie kaum noch Luft bekam, verlangsamten sich ihre Schritte, und sie wandte sich um. Edward trat zu ihr, und lächelnd wischte er ihr die Tränenspuren von den Wangen. »So hartnäckig bin ich noch keiner Frau nachgelaufen.« Jacobina war nicht zum Lachen zumute, aber auch Edward blickte unvermittelt ernst. »Wenn es sein muss, heirate ich dich nur um Idas willen. Aber lieber wäre es mir, du würdest mich heiraten, weil du mit mir zusammen sein willst.«
Jacobina presste Ida fester an sich; sie zitterte, und sie fürchtete, sie würde das Kind noch fallen lassen. Dieses Kind, das nicht in ihrem Leib herangewachsen war, das sie nicht geboren hatte, aber das sie aus der Flut gezogen, mit ihrem Leib vor dem heißen Aschesturm beschützt und auf dem Rücken aus dem Inferno getragen hatte; dieser kleine Mensch, der ihr mehr bedeutete als alles andere auf der Welt.
Sie sah Edward nur an, diesen auf fremdartige Weise so gutaussehenden Mann, schön wie eine fernöstliche Skulptur, mit seinem wie kunstvoll aus Bronze gegossenen Gesicht und den dunkelbraunen Augen, nach dem sich die Passanten umdrehten, wenn er in seinem eleganten Mantel und ohne Hut über die Straße ging.
Jacobina öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus. Sie wollte ihm sagen, wie viel sie für ihn empfand, nach dieser kurzen, so intensiven Zeit an Bord, wie groß ihr Verlangen nach ihm war und wie gerne sie es wagen wollte, an seiner Seite ein neues Leben zu beginnen, nicht nur wegen Ida – aber sie konnte einfach nicht. Sie war von der Flut mitgerissen worden und um ein Haar verbrannt, sie hatte in den Höllenschlund der Erde geblickt, und trotzdem hatte sie immer noch so viel Angst vor solch kleinen Dingen des menschlichen Daseins. Und vor dem, was in ihr verborgen lag. Auf Java und Sumatra hatte sie gelernt, dass das Blut, das in ihren Adern floss, mitnichten nur nüchtern war und wohltemperiert, wie die van der Beeks stets so stolz von sich behaupteten. Denn darin schlummerte auch eine Leidenschaft, die zwar schwer zu entflammen war, aber wenn sie einmal brannte, loderte sie lichterloh, ganz wie das Feuer, das im Herzen der Erde glühte und immer wieder durch die feste Kruste brach. So vieles wollte sie Edward Leung sagen, aber sie brachte es nicht über sich.
Es war Ida, die an ihrer Stelle antwortete, indem sie das Ärmchen
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