Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
blutige Unruhen hatten Alexandria erschüttert und Opfer unter Ägyptern wie Europäern gefordert, und im Juli hatten schließlich britische und französische Flottenverbände die Stadt bombardiert. Das Wissen, nur kurz zuvor an Bord der Prinses Amalia dort gewesen zu sein, hatte Jacobina Schauer den Rücken herablaufen lassen, und obwohl sie keinesfalls daran dachte, wieder nach Amsterdam zurückzukehren, gab ihr der drohende Krieg in Ägypten und damit unmittelbar am Kanal von Suez das Gefühl, die Brücken, über die sie hierhergekommen war, stünden lichterloh in Flammen.
Jans Mundwinkel zogen sich herab, und er rieb sich mit dem Daumen darüber. »Vollkommen ausschließen kann man es natürlich nie. Aber ich kann es mir eigentlich auch nicht vorstellen, dafür haben wir uns hier alle schon zu gut miteinander arrangiert. Mehr oder weniger freiwillig.« Er zwinkerte ihr aufmunternd zu.
Jacobina nickte zwar, blieb aber ernst und in ihren Gedanken verhaftet, bis ihr Blick auf ein Wohnhaus an der nächsten Straßenecke fiel und sie davor stehen blieb.
Hinter einer hohen Mauer waren das Dach eines größeren zweistöckigen Hauses und die Dächer einer Anzahl eingeschossiger Gebäude sichtbar, die vom Haupthaus abzweigten wie Ableger von einem Wurzelstock. Auch diese Dächer waren geschwungen, in harmonischem Wechsel mit roten und grünen Ziegeln gedeckt, und an den Enden liefen die rotlackierten Dachfirste in kunstvoll gestalteten Drachenfiguren mit aufgerissenen Mäulern aus. Jacobinas Blicke blieben an den geschnitzten und bemalten Säulen und an der zart durchbrochenen Balustrade des Balkons am Haupthaus hängen, von dessen Überdachung kostbar wirkende Glaslaternen herabhingen. Daneben spannten sich Baumkronen wie dichtgewebte Sonnenschirme auf, und Jacobina vermeinte nicht nur das Plätschern eines Springbrunnens zu hören, sondern auch einen Hauch von Blütenduft zu erschnuppern. Das gesamte Haus vermittelte einen Eindruck träumerischer Leichtigkeit und friedlicher Stille.
»Ist das schön«, flüsterte sie andächtig.
»Das ist das Haus von Go Kian Gie«, erklärte Jan. »Vermutlich der reichste und mächtigste Opiumhändler in Batavia. Angeblich so reich und mächtig, dass er sich als Erster und Einziger die Genehmigung erkaufen konnte, sich den Zopf abzurasieren, den sonst alle Männer von chinesischem Blut laut Gesetz tragen müssen. Zumindest erzählt man sich das, ich habe ihn noch nie gesehen. Man erzählt sich überhaupt so einiges. Dass er als junger Bursche aus China kam, aber auch, dass er als Peranakan hier geboren ist. Von Schmuggel und Schwarzmarkthandel ist die Rede, sogar von Morden, die er in Auftrag gegeben haben soll.«
»Warum legt ihm niemand das Handwerk?«
Jan seufzte und vergrub die Hände tief in den Hosentaschen. »Hier sind die Dinge nicht immer so einfach. Der Handel mit Opium an sich ist nicht verboten, im Gegenteil. Unsere Regierung hier in Batavia hat das Monopol darauf und erteilt Konzessionen für den Erwerb und Weiterverkauf, die sie sich teuer bezahlen lässt, deren Verwaltung und Überwachung allerdings Einheimischen übergeben wird. Genauso wie es neben der niederländischen noch die javanesische Gerichtsbarkeit gibt, der Go Kian Gie als Chinese untersteht. Und die scheint beide Augen zuzudrücken oder gleich ganz blind zu sein, während die Opiumjäger sich schwer damit tun, den Schmuggel durch den Dschungel und die versteckten Buchten auf Sumatra, Java und Bali einzudämmen. Ich mag auch nicht ausschließen, dass Bestechung im Spiel ist oder einfach Angst. Es heißt, Go Kian Gie habe überall seine Leute, die für ihn die Drecksarbeit machen, die ihm jedes schmutzige Geheimnis zutragen, und dass er dieses Wissen durchaus gebraucht, wenn es ihm nützlich erscheint.«
Jacobinas Blick hing immer noch an dem Haus vor ihnen, das umso mehr von seinem Zauber einbüßte, je mehr Jan erzählte. Als wäre sie einer Sinnestäuschung erlegen, wirkte es nun nicht mehr schön und friedlich, sondern vielmehr großspurig und herablassend. Und das massive Eingangstor unter dem goldverzierten Türsturz, dessen Beschläge in Form von Ranken, Wolken und Drachen sie zuvor noch bewundert hatte, schien ihr nun bedrohlich, fast wie eine Warnung.
Unwillkürlich schlang sie die Arme eng um ihren Oberköper und hielt sich dicht an Jans Seite, als sie weitergingen.
Auf der Rückfahrt schwiegen sie beide fast den ganzen langen Weg bis zum Koningsplein hinaus. Es war kein unbehagliches oder
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