Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
unfreundliches, sondern ein von Eindrücken, von Gedanken und Empfindungen sattes Schweigen. Kein Schweigen, das sie trennte, sondern eines, das sie miteinander teilten.
»Sie erzählen nie etwas über sich«, hob Jan irgendwann dennoch behutsam dieses Schweigen auf. »Im Grunde weiß ich nichts über Sie.«
Unvermittelt war Jacobina auf der Hut. Vermutlich hatten die de Jongs ihm längst erzählt, dass ihre Eltern vermögend waren, und trotzdem wurde ihr flau in der Magengegend bei der Vorstellung, diese Tatsache könnte etwas zwischen ihnen ändern. Als würde sie, Jacobina, wieder einmal von der glänzenden Fassade des Bankhauses Van der Beek überstrahlt und damit als Mensch wertlos. Warum sollte sich auch etwas ändern? , ging es ihr gleich darauf durch den Kopf. Fang bloß nicht an, dir etwas einzubilden, er ist nur freundlich zu dir, nichts weiter.
»Da gibt es auch nicht viel zu erzählen«, erwiderte sie. Leichthin hatte es klingen sollen, bitter kam es ihr über die Lippen.
»Meinen Sie.«
Sie spürte seine Augen auf sich, und sie sah angestrengt zur anderen Straßenseite hinaus.
» Air tenang menghanyutkan «, hörte sie ihn raunen, und verwirrt richtete sie den Blick auf ihn. »Stille Wasser sind tief«, fügte er mit einem leisen Lächeln hinzu. »Das weiß man auch hier auf Java, Jacobina.«
Sie senkte den Kopf, und ihr Herz begann hoffnungsvoll zu pochen.
Er atmete tief durch. »Ich muss zurück nach Buitenzorg. Morgen schon.« Jacobina spürte einen Kloß im Hals, als er hinzufügte: »Vor dem Ende der Regenzeit werde ich wohl auch nicht nochmal herkommen können. Erst im April wieder, vielleicht auch schon im März.«
Jacobina nickte, brachte aber keinen Ton heraus; ein halbes Jahr war eine lange Zeit.
»Darf … darf ich Ihnen denn solange schreiben?«
Aus dem Pochen wurde ein kräftiges, freudiges Klopfen. »Ja«, flüsterte sie, ohne ihn dabei anzusehen. »Ja, natürlich.«
Behutsam legte er seine Hand auf ihre Finger, die sich in ihrem Schoß ineinandergekrampft hatten. Sein Daumen streichelte über ihren Handrücken, und wie eine Blüte sich unter der Sonne entfaltet, öffneten sich ihre Finger unter der Wärme seiner Haut und glitten in die seinen.
14
Koningsplein Oost, den 28. September 1882
Liebe Floortje,
ich hoffe, Du erinnerst Dich noch an mich und an unsere gemeinsame Überfahrt nach Batavia. Auch wenn Du seither nichts von mir gehört hast, habe ich oft an Dich gedacht und mich gefragt, wie es Dir wohl geht.
Ich habe ein paar freie Tage übrig und wollte fragen, ob wir uns an einem davon vielleicht sehen können, sofern Du Zeit hast und es auch möchtest. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, Dich wiederzusehen.
Sei ganz herzlich gegrüßt von
Jacobina van der Beek
»Ist das schön, dich zu sehen!« Floortje hielt Jacobina bei den Händen und strahlte über das ganze Gesicht. »Gut siehst du aus!«
»Danke. Du auch«, gab Jacobina steif zurück.
Der Wunsch, Floortje zu sehen, war nach Jans Abreise immer drängender geworden, und nachdem sie tagelang mit sich gerungen hatte, hatte sie schließlich ihren ganzen Mut zusammengenommen und ihr ins Hotel Des Indes geschrieben, ohne große Hoffnung allerdings, eine Antwort zu erhalten. Als diese dann doch kam, wortreich und in einem übersprudelnden, freudigen Tonfall, war Jacobina mit leichtem Herzen wie auf Wolken gegangen. Nun aber, da sie im Innenhof des Hotels leibhaftig vor ihr stand, war Floortje ihr fremd, fast so wie bei ihrer ersten Begegnung an Deck.
»Bitte, setz dich doch!« Floortje wies einladend auf einen der beiden Schaukelstühle im Schatten der Veranda und ließ sich selbst anmutig auf dem anderen nieder. Jacobina fand Schaukelstühle unbequem, weil man eigentlich darin bloß herumlümmeln und nur schwer eine aufrechte Haltung einnehmen konnte. Umständlich setzte sie sich und lehnte ihren zusammengeklappten Sonnenschirm gegen die Tischkante. Prompt fiel er um und landete klappernd auf dem gefliesten Boden, wo sie ihn mit roten Wangen einfach liegen ließ; ihre Handtasche nahm sie erst in die eine, dann in die andere Hand, stellte sie probehalber auf den Schoß und den Tisch und zu guter Letzt neben den Schirm auf den Boden.
»Guten Tag, Mesdemoiselles.« Die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, verneigte sich der Kellner vor ihnen. »Was darf ich Ihnen bringen?«
»Mir einen Tee bitte«, erwiderte Floortje und sah Jacobina an, die Augen geziert mit der Hand beschattet. »Und dir?«
Jacobina
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