Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Haken ist«, erwiderte Jan bedächtig, »dass man auf dieser Insel zwar die Augen davor verschließen kann, was auf dem Meer ringsum vor sich geht. Aber die Insel kann nur deshalb so schön existieren, weil es eben dieses Meer gibt. Und es ist leider eine Tatsache, dass viel von dem Unrat, der darauf treibt, von der Insel selbst stammt.«
Jacobina nickte gedankenverloren. Dann sah sie Jan unverwandt an. »Warum zeigen und erzählen Sie mir das alles?«
Jan wandte sich halb um, mit einem Ellenbogen auf das Geländer gestützt. »Weil ich das Gefühl hatte, dass ich es Ihnen zeigen und erzählen kann . Weil ich den Eindruck habe, dass Sie der Wahrheit ins Gesicht sehen können. Genau so, wie sie ist. Weil Ihnen die Wahrheit lieber ist als eine hübsch angemalte Lüge und Sie auch nichts dagegen haben, mal einen Blick hinter die Fassaden zu werfen.«
Jacobina senkte den Kopf, damit Jan nicht sah, wie sie errötete vor Freude, dass er so über sie dachte.
»Das ist nämlich selten«, hörte sie ihn raunen. »Vor allem hierzulande. Und das mag ich so an Ihnen.«
Ihre Röte vertiefte sich, und als Jan stumm blieb, blinzelte sie unter ihrer Hutkrempe zu ihm hinüber. Er hatte sich ein wenig geduckt und spähte lächelnd seinerseits unter ihren Hutrand. Verlegen sah sie erst weg, dann doch wieder zu ihm hin und erwiderte schließlich sein Lächeln.
»Wir sollten uns langsam auf den Rückweg machen«, sagte er, während er ihr sacht an die Schulter tippte, und sie nickte.
Der Weg, den sie einschlugen, führte sie an einem buddhistischen Tempel vorbei, einem der ältesten von Glodok, wie Jan ihr erklärte. Durch das Tor mit dem geschwungenen Dach konnte Jacobina drei kleinere Tempelbauten auf der linken Seite erkennen und unmittelbar geradeaus den Haupttempel, neben dem links und rechts zwei weitere Tore in den hinteren Hof der Anlage führten. Sie bestaunte den Dachfirst, der geschweift war wie der Kiel eines Bootes, die prächtigen Verzierungen in Rot und Gold und die beiden steinernen Löwen, die den Hof von ihrem Sockel aus bewachten. Und während Jan ihnen in einer Garküche ein paar Straßen weiter satay kaufte, auf einem Holzspieß über dem Feuer gebratenes Hühnerfleisch mit einer scharfen Sauce, erzählte er davon, wie der ursprüngliche Tempel während eines Aufstands der Chinesen Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts in Flammen aufgegangen war und danach in seiner heutigen Pracht wieder aufgebaut wurde.
»Wogegen richtete sich dieser Aufstand?«, wollte Jacobina zwischen zwei Mundvoll wissen, während sie sich unauffällig umsah, ob jemand Anstoß daran nahm, dass sie mitten auf der Straße mit den Fingern aß; erst als niemand Notiz von ihr zu nehmen schien, entspannte sie sich etwas.
»Gegen die Willkürherrschaft der Niederländer«, erklärte Jan kauend. »Die Chinesen sind hier immer unterjocht und kleingehalten worden. Dann fiel auch noch der Preis für Zucker, und viele Chinesen, die von der Verarbeitung von Zuckerrohr lebten, bangten um ihre Existenz. Bewaffnet zogen sie durch die Stadt, um ihrem Zorn Luft zu machen, und töteten fünfzig niederländische Soldaten. Die einheimische Bevölkerung, die den Chinesen ohnehin nicht wohlgesonnen war, fürchtete um ihr Leben und setzte ganze Straßenzüge in Brand. Schließlich schwärmten niederländische Truppen aus und metzelten fast die gesamte chinesische Bevölkerung Batavias nieder, über zehntausend Männer, Frauen und Kinder.«
Jacobina schluckte schwer an ihrem letzten Bissen satay , der sich unter Jans Worten in feuchtes Sägemehl verwandelt zu haben schien.
»Die überlebenden Chinesen, kaum mehr als ein paar hundert, wurden außerhalb der Stadtmauern angesiedelt, um sie künftig besser im Griff zu haben«, fuhr Jan fort, während sie weitergingen. »In der Zeit danach durfte sich jedes Jahr nur noch eine beschränkte Anzahl Chinesen in Batavia niederlassen, ebenfalls ausschließlich in der neuen Siedlung jenseits der Stadtmauern, und daraus entstand dann das hier.« Er nickte in Richtung der vor ihnen liegenden Straße. »Das Viertel von Glodok.« Nachdenklich fuhr er fort: »Irgendjemand hat einmal gesagt, die Chinesen seien die Juden Asiens, überall verstreut und nirgends wohlgelitten. Ich denke, da ist was dran.«
»Ja, das klingt ganz danach«, erwiderte Jacobina. »Glauben Sie, es könnte noch einmal einen solchen Aufstand geben?« Im Java Bode hatte sie gelesen, dass es im Juni in Ägypten zu einem Aufstand der Armee gekommen war;
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