Das Herz der Hoelle
tauchte in den Wald ein und folgte dem Geräusch des Wasserfalls, das zwischen zwei heulenden Windböen an mein Ohr drang. Die dichte Vegetation erschwerte das Vorankommen. Äste zerkratzten mir das Gesicht. Dornenranken behinderten jeden meiner Schritte. Unter meinen Sohlen knirschte der Kies, als ich mich durchs Gestrüpp durchkämpfte.
Bald hatte ich völlig die Orientierung verloren, da ich das Rauschen des Wassers nicht vom Rascheln der Blätter unterscheiden konnte. Ich beschloss, noch weiterzugehen und dem Hang zu folgen, wo ich bald auf eine Lichtung stoßen müsste.
Schließlich trat ich aus den Bäumen heraus wie aus einem Bühnenvorhang und gelangte auf die Waldlichtung. Reines Glück. Ich blieb stehen und betrachtete die Szenerie, die ich schon kannte. Eine mit niedrigem Gras bewachsene kreisförmige Stelle, die sich bis an die Abbruchkante erstreckte. Das Mondlicht überzog alles mit einem silbrigen Glanz. Noch einige Sekunden, um mich zu sammeln, dann setzte ich meinen Weg fort. Longhini-Sarrazin hatte gesagt: »Der Teufel hat sein Verbrechen signiert.« Folglich gab es hier irgendeine Spur, ein satanisches Indiz. Hatten es die Gendarmen gefunden? Nein. Nur Sarrazin war an den Fundort der Leiche zurückgekehrt und hatte dieses Detail entdeckt.
Ich befand mich jetzt am Rand des Steilhangs, wie bei meinem ersten Besuch. Ich drehte mich zu der grasbewachsenen Lichtung um. Die Gendarmen – Spezialisten von der Regionaldirektion Besançon – hatten die Stelle systematisch abgesucht, nach der Rastermethode jeden Stein und jedes Grasbüschel umgedreht. Was konnte ich, allein und mitten in der Nacht, noch mehr tun?
Ich konzentrierte mich auf die Tannen im Hintergrund. Sie glichen einer Phalanx schwarzer Krieger. Vielleicht hatten die Gendarmen die Spurensicherung auf die Lichtung beschränkt …
Niemand hatte daran gedacht, den Wald genauer zu untersuchen.
Niemand außer Sarrazin.
Ich stieg den Hang wieder hinauf und blieb am Saum des Waldes stehen. Die Aufgabe erschien fast unlösbar – in der Finsternis den Boden, die Wurzeln und die Stämme absuchen. Und um was zu finden? Ich wischte diese Gedanken beiseite, tauchte in die Dunkelheit ein und schaltete die Taschenlampe an. Ich begann in der Mitte, an jener Achse, in welcher der Leichnam abgelegt worden war, hundert Meter von meinem Standort. In gebeugter Haltung suchte ich den Boden ab. Ich inspizierte jeden einzelnen Stamm von unten bis oben, schob die Äste zur Seite und öffnete das Dickicht.
Nichts. In zehn Minuten hatte ich gerade mal ein paar Quadratmeter geschafft. Die Tannenzweige begannen sehr tief am Stamm – wenn es etwas zu entdecken gäbe, eine Inschrift in der Rinde, eine Inszenierung, dann konnte sich dies nur auf dem etwa einen Meter langen Abschnitt zwischen Boden und den ersten Ästen befinden. In der Hocke, fast auf den Knien, setzte ich die Inspektion fort und konzentrierte mich dabei auf die Basis der Stämme.
Nach einer halben Stunde stand ich auf. Mein Atem kondensierte vor mir in Dampfwölkchen. Mir war wieder glühend heiß, aber zugleich legte sich die Kälte wie ein eisiger Schleier über mich. Der Wind erreichte mich selbst hier, im Schutz der Äste.
Ich tauchte wieder, mit dem Kopf voran, unter die Tannenzweige ab. Keuchend und schlotternd schob ich mit einer Hand die stechenden Zweige zur Seite, während ich mit der anderen Hand die Schäfte abtastete. Nichts.
Plötzlich, unter meinen Fingern, eine Linie.
Eine lange krumme Kerbe in Zickzackform.
Ich riss die Zweige ab, um die Stelle mit der Taschenlampe zu beleuchten. Mein Herz blieb stehen.
Mit einem Messer waren folgende spitze Buchstaben in den Stamm geschnitzt worden:
ICH BESCHÜTZE DIE LICHTLOSEN.
Die Unterschrift des Teufels? In all den fünfzehn Jahren, in denen ich Theologie studiert hatte, war mir dieser Ausdruck nie untergekommen. Mir fiel noch ein weiteres Detail auf. Die abgehackte Form der Buchstaben in der Rinde. Ich erkannte die Handschrift wieder. Es war die gleiche wie bei der leuchtenden Inschrift im Beichtstuhl. Ein und dieselbe Hand hatte diese Signatur und die Warnung »Ich habe dich erwartet« geschrieben.
Ich dachte: Ein Feind, ein Einzelner, als ich eine Vibration spürte. Mein Handy. Ohne die Inschrift aus den Augen zu lassen, zog ich eine Hand aus den Zweigen heraus und steckte sie in meine Tasche.
»Hallo?«
»Front
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