Das Herz der Hoelle
aufgestellt?«
Sein Schweigen signalisierte Zustimmung. Die Erwähnung der Kabine rief eine weitere Erinnerung wach.
»Wer hat Ihrer Meinung nach den Satz ›Ich habe dich erwartet‹ ins Innere des Beichtstuhls geschrieben?«
»Ich weiß es nicht. Ich will es nicht wissen.«
Ich beendete die Chronologie der Ereignisse:
»Haben Sie Sylvie nach der Tragödie wiedergesehen?«
»Klar, diese Stadt ist sehr klein. Aber sie wich mir aus.«
»Ist sie nicht mehr gekommen, um zu beichten?«
»Nein. Ihr Schweigen war wie ein Stein.« Er öffnete seine Hände und streckte sie langsam vor sich aus. »Ein riesiger Stein, der auf meiner Seele lastete und mich in mir selbst einschloss, verstehen Sie?«
»Als Sie im letzten Sommer von Sylvie Simonis’ Tod erfuhren, was haben Sie da gedacht?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht mehr darüber nachdenken will.«
»Es gibt vielleicht jemanden in dieser Stadt, der die Wahrheit kannte. Jemand, der beschlossen hat, Manon zu rächen.«
»War es denn tatsächlich Mord? Die Gendarmerie hat nie gesagt, dass …«
»Ich sage es Ihnen. Was denken Sie über Thomas Longhini?«
Der Priester blickte wieder fassungslos drein.
»Was, Thomas?«
»Als man ihn des Mordes an Manon bezichtigte, versprach er zurückzukommen. Er könnte das kleine Mädchen gerächt haben.«
»Sie sind verrückt.«
»Ich habe den Leichnam Sylvies nicht erfunden.«
»Lassen Sie mich in Ruhe. Ich muss beten.«
Tränen rannen ihm über die Wangen. Seine Miene war unbewegt.
Ihn schien nichts mehr erreichen zu können. Schon murmelte er den berühmten Psalm 22:
Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe,
und niemand ist da, der hilft …
Ich bin hingeschüttet wie Wasser,
gelöst haben sich all meine Glieder.
Mein Herz ist in meinem Leib wie Wachs zerflossen …
Seine Stimme erstarb hinter mir, als ich durch die Kirche ging.
Auf dem Vorplatz atmete ich die Nachtluft tief ein. Der Ort war in Finsternis gehüllt und damit wie ein Spiegelbild meiner Seele. Eine schwarze, eisige Zone ohne Orientierungspunkte und ohne Licht.
Plötzlich durchbohrten aufgeblendete Scheinwerfer die Nacht.
Ein Auto stand auf dem Platz.
Der blaue Peugeot von Capitaine Sarrazin.
Keine Sekunde zu früh, dachte ich, während ich auf den Wagen zuging.
KAPITEL 50
»Steigen Sie ein.«
Ich ging um den Peugeot herum und stieg auf der Beifahrerseite ein. Im Fahrergastraum schwebte ein Geruch von schneidender Sauberkeit. Eine makellose, ausgrenzende Reinlichkeit, die einem Angst machte, man könnte etwas beschmutzen.
»Trinken Sie im Dienst, Commandant?«
Meine Fahne.
»Ich bin nicht im Dienst. Ich mache Urlaub.«
»Sehen Sie jetzt klarer?«
Ich antwortete nicht. Der Gendarm lächelte in der Dunkelheit. Er legte meine Automatik-Pistole auf meine Knie und fuhr dann in freundlicherem Ton fort:
»Sie kommen aus der Kirche und wirken ziemlich mitgenommen. Sie haben bestimmt Mariotte ausgefragt.«
»Wie wär’s, wenn Sie mir von Ihren Ermittlungen erzählen würden? Das würde uns Zeit sparen.«
»Ich habe Ihnen einen Tag gegeben. Sagen Sie mir, was Sie wissen. Ich werde sehen, ob es sich lohnt, Ihnen zu helfen.«
Ich fragte mich, wo dieser plötzliche Stimmungsumschwung herrührte. Aber ich hatte nichts mehr zu verlieren. Ich fasste die Ergebnisse meiner Nachforschungen zusammen. Manon, vom Teufel besessen. Ihre Mutter, die sie umbrachte, um den Dämon in ihr zu töten. Das falsche Alibi. Die Rache für den Mord vierzehn Jahre später.
Der Gendarm schwieg. Er lächelte nicht mehr.
»Wer hat Ihrer Meinung nach Manon gerächt?«, fragte er schließlich.
»Derjenige, der sie wie eine Schwester liebte. Thomas Longhini.«
»Haben Sie ihn ausfindig gemacht?«
»Nein. Aber das ist jetzt meine Priorität.«
»Weshalb sollte er vierzehn Jahre verstreichen lassen?«
»Eben weil der Junge damals erst vierzehn war. Sein Plan ist gereift, seine Entschlossenheit ist gewachsen. Er hatte versprochen zurückzukehren, und er kam zurück.«
»Er ist also auch ein rachsüchtiger Irrer?«
Ich antwortete nicht. Ich wollte unwillkürlich nach meiner Schachtel Camel greifen. Aber hier eine
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