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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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über den Mord und die Vergangenheit der Sizilianerin recherchieren. Callacciura hatte von einer »Persönlichkeit« und einer »italienischen Geschichte« gesprochen. Ich war auf alles gefasst.
       Eine halbe Stunde, nicht weniger, um im Chaos der Autos und im Gewirr der Straßen meinen Wagen zu finden. In einer sizilianischen Stadt einen Fiat Punto wiederzufinden, dessen Nummernschilder von Vulkanstaub überzogen waren, war eine echte Meisterleistung.
       Pünktlich um 8.30 Uhr brach ich auf.
       Die Sonne war aufgegangen. In Catania, der schwarzen Stadt, verschmolzen Mauern, Gehsteige und Straßen zu einer Einheit. Man bewegte sich in einer mineralischen Welt mit vagen, verwischten, fast ausgelöschten Gestalten. Nur hin und wieder zeigte sich hinter einem Portal ein grüner Garten oder in einer Nische eine Madonna mit abblätternder Farbe. Ich dachte daran, was ich früher einmal, als ich in Rom lebte, im Carriere della Serra und in La Repubblica über die Stadt gelesen hatte. Catania war die Stadt in Italien – ja in Europa – mit der höchsten Verbrechensrate. Die Mafia mit ihren Konflikten, ihren Machenschaften und ihren Machtkämpfen hatte hier unangefochten das Sagen. Eines Morgens hatte man auf der Piazza Garibaldi, am Fuß der Statue des Helden, sogar den abgetrennten Kopf eines Ehrenmannes gefunden, der in Ungnade gefallen war.
       Der Verkehr wurde dichter. Unter dem tiefen Himmel herrschte eine Mischung aus Panik und Gleichgültigkeit. Vor jeder Kirche drängten sich die Gläubigen, sie sammelten sich zu Prozessionen und beteten für das Wohl der Stadt. Auf der anderen Seite fegten Händler in aller Ruhe die Asche vor ihrer Tür zusammen. Auf den Dächern der Gebäude widmeten sich Frauen der gleichen Tätigkeit, wobei sie sich von Terrasse zu Terrasse lauthals beschimpften.
       Um 9 Uhr entdeckte ich die Questura. Einsatzfahrzeuge rasten in vollem Tempo heraus. Carabinieri drängten sich im größten Innenhof und hatten khakifarbene Gewehre umgehängt, mit feuerabweisender Farbe lackiert. Ich fragte eine Wache nach dem Weg. Er verwies mich an die Pressestelle, wo ich die Genehmigungen einholen könnte. Ich zeigte ihm meinen Dienstausweis und sagte, ich wolle den Questore persönlich sprechen. Er deutete auf das Gebäude hinten im Hof.
       Im Treppenhaus herrschte die gleiche hektische Geschäftigkeit. Männer rannten die Stufen hinunter. Stimmen hallten unter den hohen Decken wider. Ein Fernseher dröhnte noch lauter. Man spürte, dass Spannung in der Luft lag, eine nervöse Erregung, die alle befallen hatte.
       Im obersten Stockwerk fand ich das Büro des Questore. Inmitten des allgemeinen Getümmels schlüpfte ich inkognito ins Büro der Sekretärin und dann, durch eine zweite Tür in einen Raum, der so groß war wie eine Turnhalle. Am hinteren Ende des Raums saß der Questore hinter seinem Schreibtisch, ins Aktenstudium vertieft.
       Ehe er auf meine Anwesenheit reagieren konnte, durchquerte ich den Saal mit langen Schritten und zog meinen französischen Dienstausweis. Der Questore sah auf.
       »Wer sind Sie?«, fragte er. »Wie kommen Sie hier herein?«
       Süditalienischer Akzent. Ich legte das Empfehlungsschreiben vor. Während er las, musterte ich den Mann. Er hatte breite Schultern und trug einen dunkelblauen Anzug, der an eine Admiralsuniform erinnerte. Er hatte einen kahlen Schädel von fast aggressiver Festigkeit und schwarze Augen, die unter dem durchgehenden Strich der Brauen wie zwei Oliven leuchteten. Nachdem er den Brief gelesen hatte, legte er seine behaarten Hände auf seinen Schreibtisch.
       »Sie möchten mit Agostina Gedda sprechen? Wieso?«
       »Ich arbeite in Frankreich an einer Sache, die möglicherweise eine Verbindung zu diesem Fall hat.«
       »Agostina Gedda …«
       Er wiederholte diesen Namen mehrmals, als hätte man ihn an eine weitere Katastrophe erinnert, die in seiner Stadt geschehen war. Seine Augen sahen mich wieder prüfend an.
       »Haben Sie irgendeine Vollmacht, um in Sizilien zu ermitteln?«
       »Nichts außer diesem Brief.«
       »Ist es eilig?«
       »Supereilig.«
       Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und stöhnte:
       »Sie scheinen nicht auf dem Laufenden zu sein, der Ätna ist dabei, uns die Kehle abzuschnüren.«
       »Ich hatte diese … äußeren Umstände nicht vorhergesehen.«
       Hinter mir ging die Tür auf. Der Questore machte eine unwirsche Handbewegung. Die Tür

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