Das Herz der Hoelle
Stéphane Sarrazin begleichen.
Der Gendarm hatte von Anfang an gewusst, dass Manon am Leben war. Als ihm der Fall Simonis übertragen worden war, hatte er mit Sicherheit die Ermittlungsakten von 1988 eingesehen. Er behauptete, dass diese Unterlagen nicht existierten, aber er log, dessen war ich mir mittlerweile sicher. Außerdem hatte er zweifellos Kontakt zu Setton, der mittlerweile zum Präfekten befördert worden war, und den anderen Ermittlern. Er wusste alles. Warum hatte er mir das Wichtigste verschwiegen?
Ich überquerte abermals die Grenze, voller Wut im Bauch.
Und ich versuchte die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren.
November 1988
Die Mutter und die Verantwortlichen der Ermittlung fürchten den Medienrummel und verständigen sich darauf, die Tatsache, dass das Kind überlebt hat, zu verschleiern. Richter de Witt, Commandant Lamberton, Polizeidirektor Setton und die Anwälte schweigen. Der Staatsanwalt veröffentlicht ein paar sibyllinische Kommuniqués, um die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, dann hüllt er sich ebenfalls in Schweigen.
Das Geheimnis der Ermittlungen, zweifach verschlossen.
Dezember 1988
Sylvie Simonis durchlebt eine Phase tiefer geistiger Verwirrung. Sie hat ihre eigene Tochter getötet, um den Teufel zu vernichten, der von ihr Besitz ergriffen hat, aber das Kind hat überlebt. Was hält sie davon? Ich vermute, dass Sylvie als fromme Christin in dieser Wiederauferstehung ein Zeichen Gottes sieht. Es ist eine Parallele zur Geschichte Abrahams. Jahwe wollte nicht, dass er seinen Sohn opfert und sie ihre Tochter. Sylvie gibt Manon eine zweite Chance. Das Wunder muss Marions Seele geläutert und den Teufel ausgetrieben haben.
Was dann geschah, sah ich ziemlich klar: Ein von Gebeten und Verstecken geprägter neuer Anlauf. Sylvie hat Manon irgendwo in den Tälern des Jura oder an einem anderen Ort heimlich großgezogen. Ein Detail ergab plötzlich Sinn: die Überweisungen auf ein Schweizer Konto seit vierzehn Jahren. Sie waren weder für einen Erpresser noch für Sylvie selbst bestimmt. Sondern für die Pflegeeltern! Wer waren sie? Hatte Manon in der Schweiz gelebt? Hatte sie ihren richtigen Namen behalten?
Es lag in Sarrazins Interesse auszupacken.
Er hatte mir seine Privatadresse gegeben. Er wohnte nicht in der Kaserne in Trepillot, sondern in einem abgelegenen Haus am südlichen Stadtausgang von Besançon. Das Haus gehörte zu dem Weiler Les Mulots. Sarrazin hatte mir von einem abgelegenen Landhaus erzählt. Ich fuhr um die Stadt herum und entdeckte das Schild. Unterhalb der Straße schwebte das Holzdach in der Finsternis.
Ich hielt fünfzig Meter vor dem Haus an einer uneinsehbaren Stelle und griff nach meiner Tasche. Ich tastete nach dem Cordura-Futteral, nahm die Einzelteile der Glock 21 heraus und setzte die Waffe geschwind zusammen. Ich schob ein Magazin mit Arcanum-Kugeln hinein und lud einmal durch. Ich wog die Pistole in der Hand. Obwohl sie aus Polymeren gefertigt war, war sie schwerer als die Neun-mm-Para. Eine kompakte, zerstörerische Automatik, die ganz meinem Gemütszustand entsprach.
Um 2 Uhr morgens hoffte ich, Sarrazin in seinem Bett zu überraschen und ihm den Kopf zu waschen.
Ich stieg lautlos aus dem Wagen, die Waffe in der Hand. Der Regenschauer hatte aufgehört. Der Mond zeigte sich wieder, und der nasse Asphalt glänzte stellenweise. Ich ging hinunter zum Châlet und blieb auf der Schwelle stehen. Die Eingangstür war offen – eine Regenpfütze wurde im Türspalt auf dem Boden sichtbar. Ein schlechtes Omen. Dem Wasser ausweichend, glitt ich, in höchster Alarmbereitschaft, ins Innere hinein. An die Diele schloss sich ein rechteckiges Wohnzimmer mit drei Fenstern an. Eine Stimme warnte mich vor einer Katastrophe, aber ich hielt sie noch auf Distanz.
Ich rief:
»Sarrazin?«
Keine Antwort. Ich kam an der Küche vorbei, einem perfekt aufgeräumten Zimmer und stieß auf die Treppe. Schauder durchrieselten mich, ein Zittern, das durch die feuchte Kleidung noch verstärkt wurde.
»Sarrazin?«
Ich erwartete keine Antwort mehr. Man konnte den Tod riechen.
Am oberen Ende der Treppe ein weiterer Flur. Wieder ein Zimmer. Zweifellos das von Sarrazin. Ich warf einen Blick hinein. Leer, tadellos. Ich schöpfte wieder Hoffnung. Vielleicht war der Offizier auf einer Dienstreise?
Ein Summen antwortete mir.
Mücken hinter mir. Ganze
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