Das Herz der Hoelle
Schwaden.
Ich folgte den Insekten, die sich am Ende des Gangs um eine halb geöffnete Tür scharten. Das Badezimmer. Die Fliegen summten und hingen in dichten Trauben an Türangeln. Jetzt roch ich den Verwesungsgeruch. Ich ging näher heran. Ich steckte meine Waffe wieder ins Holster, hielt den Atem an und stieß mit dem Ellbogen die Tür auf.
Der scheußliche Geruch des in Verwesung übergegangenen Fleischs brannte mir in der Nase. Stéphane Sarrazin lag zusammengesackt in seiner Badewanne, die mit braunem Wasser gefüllt war. Sein Oberkörper ragte über die Wasseroberfläche heraus, und sein Kopf war nach hinten geneigt, mit leicht geöffnetem Mund, erstarrt in einer Pose des Leidens. Sein rechter Arm hing auf der Außenseite herunter, sodass das Ganze an den Ermordeten Marat von David erinnerte. Auf den Wandkacheln darüber Blutspuren. Ich fand den Schalter.
Grelles Licht auf einer Szene des Grauens. Sarrazin hatte kein Gesicht mehr: Er war von den Brauen bis zum Kinn gehäutet. Seine Finger waren verbrannt. Sein Oberkörper war vom Brust- bis zum Schambein aufgeschlitzt, wo man in den dunklen Fluten eine klaffende Wunde erahnte. Seine Eingeweide quollen aus dem Bauchraum hervor, und seine Beine waren angewinkelt, das Wasser hatte einen schwärzlichen Ton. Die Fliegenschwaden tanzten darüber wie Vogelschwärme.
Ich wich zurück. Das Zittern meines Körpers ging in Krämpfe über, und mir wurde schummrig vor Augen. Ich konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren, um den Tatort zu analysieren. Ich hatte nur noch einen Wunsch: abzuhauen. Aber ich zwang mich dazu, wieder hinzusehen.
Neben der Badewanne entdeckte ich ein Körperteil von eindeutiger Identität: das Geschlecht Sarrazins. Der Mörder hatte den Offizier kastriert. Jetzt, mit dem Abstand, betrachtete ich nochmals die Blutspuren auf der Kachelwand. Sie zeichneten einen Satz in Blutlettern: Der Mörder hatte das Geschlecht seines Opfers als Pinsel benutzt.
In Großbuchstaben hatte er geschrieben:
NUR DU UND ICH.
Es war die gleiche Schrift wie im Beichtstuhl.
Und ich war sicher, dass sich die Botschaft wieder an mich richtete.
KAPITEL 78
Ich fuhr so schnell ich konnte von Besançon weg. Von einem einzigen Gedanken beherrscht: Der Mörder würde seine Verbrechen mit seinem eigenen Blut sühnen müssen. Das war das Talionsgesetz. Auge um Auge. Blut gegen Blut.
In einem menschenleeren Dorf entdeckte ich eine Telefonzelle. Ich hielt an und meldete mich hei der Einsatzzentrale der Gendarmerie von Besançon. Ein anonymer Anruf. Ein weiterer Name auf der Todesliste des Dossiers. Fast schon Routine.
Dann mit Höchstgeschwindigkeit weiter.
Meine Gedanken wurden zum reinsten Albtraum. Der Teufel wollte, dass ich seiner Spur folgte – ich und nur ich. Und er erwartete mich, irgendwo in einem Tal des Jura. ICH BESCHÜTZE DIE LICHTLOSEN. Ein Teufel, der über seine Geschöpfe wachte und der sie auf übelste Art und Weise rächte. Jetzt hatte er Sarrazin ausgeschaltet, den allzu neugierigen Ermittler.
Ein Hotel, dringend.
Ein Zimmer, ein geschützter Raum, wo ich für den Gendarm beten und vielleicht ein paar Stunden schlafen könnte. Am Straßenrand entdeckte ich ein Gebäude mit einer ausgeschalteten Neonreklame auf dem Dach. Ich bremste ab. Ein einfaches, gesichtsloses Hotel, das von Efeu überwuchert war. Ein Zwei-Sterne-Schuppen für Geschäftsreisende.
Ich weckte den Hotelier und ließ mich zu meinem Zimmer führen. Ich zog meine Kleider aus, stieg unter die Dusche und betete dann in der Dunkelheit, nur mit der Unterhose bekleidet. Ich betete für Sarrazin. Ohne dass es mir gelungen wäre, meinen Argwohn gegen ihn völlig zu zerstreuen. Trotz seiner Agonie, trotz unserer Abmachung hatte ich noch immer den Verdacht, dass der Gendarm ein Geheimnis hatte. Die berühmten dreißig Prozent Schuld …
Ich betete noch inbrünstiger, bis mir meine Knie auf dem durchgescheuerten Teppich wehtaten. Erst jetzt schlüpfte ich zwischen die Laken. Ich löschte das Licht und ließ meinen Gedanken freien Lauf.
Fragen tauchten in meinem Bewusstsein auf wie bunte Glasperlen in einem Kaleidoskop. Im Sekundentakt änderten sich die Motive, und es zeichneten sich widersprüchliche Erkenntnisse, endlose Ketten von Fragen und alle möglichen Ängste ab.
Dann tauchte das Thema Manon wieder auf und stellte alles andere in den Schatten. Ich konzentrierte mich auf
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