Das Herz der Hoelle
Stadt, die zusehends unter Leichen versank. Entlang der Straßen, der Gräben, in der Nähe der Straßensperren, wo sich die Leichen auftürmten, blutüberströmt, halb nackt, obszön. Meine Hände rochen nach dem Tod. Mein Körper roch nach dem Tod – und die Liebe in mir, die körperliche Liebe, erschien mir wie das Spiegelbild dieser verwesenden Opfer. Ein Kadaver in meinem Innern. Meine Suche blieb vergeblich.
In den folgenden Wochen geriet ich auf Abwege. Die Gemetzel, die offenen Massengräber, die öffentlichen Verbrennungen. In dieser Hölle suchte ich wieder die Liebe. Ich hatte weitere Geliebte, in den Flüchtlingslagern in Kibuye an der Grenze zu Zaire. Aber die verschollene Frau aus Kigali ging mir nicht aus dem Sinn. Gewissensbisse, Ekelgefühle überwältigten mich. Und dennoch: Unbeeindruckt von dem allgegenwärtigen Gestank nach Exkrementen und Verwesung frönte ich weiter der Sinnenlust, während Schaufelbagger die Leichen begruben. Ich fand meine Partnerinnen aufs Geratewohl in fensterlosen Zelten und rang dem Nichts, dem Gefühl der Schuld eine Nacht, eine Stunde ab. Ich war nicht ganz bei mir und, wie alle anderen, überwältigt von Entsetzen, Panik und Verzweiflung.
Diese sexuelle Raserei endete mit einer akuten Lähmung. Rücktransport nach Frankreich. Überführung in die Universitätsklinik Sainte-Anne, Paris. Dort erstarb das Verlangen mit der Depression – und den Medikamenten. Schließlich war ich betäubt. Das Tier war erschlagen.
Jahrelang völlige Ruhe.
Ich spürte keinerlei Verlangen mehr nach Frauen.
Dann kam mein christlicher Stolz wieder an die Oberfläche. Wieder gelobte ich Gott meine ungeteilte Liebe. Nie mehr wieder würde ich mein Herz oder meinen Körper, die allein für Gott bestimmt waren, mit einem Menschen teilen. Ich geriet in eine neue Sackgasse:
Ich hatte nicht mehr die Kraft, Priester zu sein.
Ich hatte nicht mehr den Mut, ein Mann zu sein.
Mein Beruf als Polizist half mir. Als Capitaine bei der Sitte suchte ich den Kontakt zu den einzigen Personen, die mir helfen konnten: den Prostituierten. Liebe ohne Liebe: Das war mein Weg. Meinen Körper erleichtern, ohne mich mit dem Herzen einzulassen. Das war die verquere Lösung, die ich mir zurechtlegte.
Die Lust an schwarzer Haut war mir geblieben – es war die Prägung des ersten Mals. Ich ging immer öfter ins Keur Samba und ins Ruby’s. Außerdem nahm ich die Dienste diskreter französisch-asiatischer Kontaktagenturen in Anspruch. Vietnamesinnen, Chinesinnen, Thailänderinnen …
Die Exotik, die unbekannten Sprachen fungierten als Filter, als zusätzliche Schranken. Unmöglich, sich in eine Frau zu verlieben, deren Vornamen man kaum kannte. So frönte ich Wunschfantasien, die mit dem Erniedrigen, Besitzen und Beherrschen meiner Partnerinnen verbunden waren und sie zu bloßen Sexualobjekten degradierten, während ich mein Herz mit einer undurchdringlichen Schutzhülle umgab, die etwas Abstoßendes hatte. Meinen Körper bekommt ihr, mein Herz nicht!
Die Illusion währte nicht lange. Ich hatte der Liebe entsagt, aber sie hatte mir nicht entsagt. Als ich nach einer entwürdigenden Sexnummer wieder bei klarem Verstand war, überfiel mich eine bodenlose Traurigkeit. In dieser Nacht hatte ich wieder etwas versäumt. Und dieses Etwas bedrückte mich.
Vielleicht beschützte mich mein Glaube, die Exotik, das Fleisch selbst, aber der Mangel war da und wurde immer größer, immer bitterer. Schlimmer noch. Meine Fantasien waren frevelhaft. Ich trat die Liebe mit Füßen, und die in den Schmutz gezogene, entwürdigte Liebe rächte sich in Form einer unheilbaren Wunde …
22 Uhr
Nach der Radiostunde in der Bibliothek hatte ich mich in meine Zelle geflüchtet und dadurch das Abendessen und -gebet verpasst. Mit meinen fünfunddreißig Jahren empfand ich eine abgründige Angst vor Manon, die mich allein durch ihr Lächeln in ihren Bann geschlagen hatte. Sie drohte die brüchige Panzerung meines Herzens zu sprengen.
Ich beschloss, meine Ermittlungen wieder aufzunehmen.
Ohne den Trenchcoat abzulegen, setzte ich mich fröstelnd in das kleine Büro, in dem als einzige Konzession an die Moderne ein PC installiert war. Über das Internet loggte ich mich in die Zeitungen ein, die mich interessierten. Auf der Titelseite der République des Pyrénées fand sich ein Artikel über die Entdeckung zweier Leichen in der Nähe der Ortschaft Mirel bei
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