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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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nicht vorhergesehen. Eine beklemmende Situation folgte auf die andere. Das Portal des Klosters Scholastyka fiel hinter uns schwer ins Schloss. Ich nahm Manons Hand und ging den Gehsteig entlang. Ihre Reisetasche war leicht und nicht dicker als meine. Ein Blick nach links, dann nach rechts. Man sah kaum drei Meter weit. Wir tasteten uns fast wie Blinde voran.
       Die Welt war nicht bloß verschwunden, der Nebel hüllte uns ein, um uns ebenfalls auszulöschen.
       Ich glaubte mich zu erinnern. Wenn wir zuerst links und dann durch die Ulica Sienna gingen, würden wir auf die Ulica Sw. Gertrudy stoßen. Selbst in dieser weißen Suppe könnte man dann ein Taxi rufen. Unsere Schritte hallten auf dem Gehsteig. Die Feuchtigkeit verlieh ihnen eine Art akustischen Glanz; das harte Klappern der Schuhe stieg auf in die grauweiße Luft.
       Wir schwiegen. Als könnte das geringste Wort unsere Angst freisetzen. Jetzt schienen die Gebäude aus ihren Verankerungen gerissen zu sein. Sie bewegten sich mit uns und durchschnitten langsam die silbernen Kronen und Firste wie Eisbrecher. Ein Wagen fuhr vorbei. Wir konnten gerade noch rechtzeitig zur Seite springen. Ohne es zu wissen, gingen wir auf der Fahrbahn. Das Fahrzeug überholte uns im Zeitlupentempo. Ich hörte, wie seine Scheibenwischer den Takt schlugen, tschak-tschak-tschak.
       Wir setzten unseren Weg fort. Der Gazeschleier öffnete sich zögernd und schloss sich hinter uns sogleich wieder. Ich war schon nicht mehr sicher, ob wir noch in der Ulica Sienna waren. Die Straßenschilder ließen sich nicht mehr entziffern. Unser einziger Anhaltspunkt war die Reihe der Straßenlaternen. Auch in einigen Fenstern brannten Lichter, die die düsteren Fassaden durchbrachen. Ich stellte mir das geschäftige Treiben in geheizten Wohnungen vor, in denen das Mittagessen zubereitet wurde. Dieses Bild verstärkte, im Kontrast, unsere Einsamkeit.
       Ich kramte in meinem Gedächtnis. Wir müssten gleich linker Hand, an der Ulica Mikokajska vorbeikommen, die eine große Kurve machte. Ich hoffte, eine Reihe eingeschalteter Lampen zu sehen, die uns bestätigten, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Aber nichts geschah – und außerdem konnte man nie mehr als zwei Laternen auf einmal sehen …
       Plötzlich sah ich gar keine mehr. Waren wir von der Straße abgekommen? Der Nebel veränderte sich. Er wurde noch dichter und kälter. Der Geruch von feuchter Erde, von erstarrter Fäulnis stieg vom Boden auf. Verflixt nochmal. Wir waren nicht mehr in der Ulica Sienna. Wir hatten sie vielleicht überhaupt verpasst … Ich versuchte wieder, mich zu erinnern, und zeichnete im Geist eine Karte des Viertels.
       Da begriff ich.
       Der Planty.
       Der Park, der sich wie ein Ring um die Krakauer Altstadt legte.
       Von Anfang an waren wir in die falsche Richtung gegangen. Ich war geradeaus gegangen, mit dem Rücken zum Kloster. Der Kies, der unter meinen Füßen knirschte, bestätigte meine Vermutung. Die schemenhaften Umrisse von Bäumen tauchten auf, die in der Luft zu hängen und keine Wurzeln zu haben schienen. Auch schwarze Arme und Köpfe zeichneten sich ab – die Skulpturen des Parks. Ich hätte schreien können. Wir waren allein, hatten uns verlaufen und waren vollkommen ungeschützt.
       »Was ist los?«
       Die Stimme Manons, ganz nahe an meinem Ohr. Ich hatte nicht den Mumm, sie anzulügen.
       »Wir sind im Planty, dem Park.«
       »Und wo genau?«
       »Ich weiß es nicht. Wenn wir ihn durchqueren, kommen wir vielleicht wieder auf die Ulica Sw. Gertrudy.«
       »Aber wenn wir nicht wissen, wo wir sind?«
       Ich drückte ihre Hand, ohne zu antworten. Weitere Laternen schwebten in der Luft. Eine Allee. Ich bemühte mich, fester aufzutreten, um Manon, die in ihrer Parka zitterte, aufzumuntern.
       Ich hatte eher das Gefühl zu schwimmen als zu gehen … Ich reckte immer wieder den Hals, kniff die Augen zusammen, ohne Ergebnis. Dagegen schien sich mein Gehör zu schärfen. Ich glaubte zu hören, wie Tropfen von den Ästen fielen, wie unter den Statuen das Eis klirrte und wie der gefrorene Boden unter unseren Füßen knarrte.
       Dann, plötzlich, ein anderes Geräusch, sehr viel näher.
       Ein Knirschen auf dem Kies. Ich blieb stehen und legte die Hand auf Manons Lippen. Das Knarren verstummte. Ich wagte einen Versuch. Zwei Schritte, dann stehen bleiben. Das gleiche Geräusch, das sofort wieder aufhörte. Es war ein Echo, aber für meinen

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