Das Herz der Hoelle
junge Frau könnte 1988, in ihrem Koma, das Gleiche erlebt haben wie Luc Sobeyras.«
»Manon erinnert sich an nichts dergleichen.«
»Das schließt nicht aus, dass sie eine negative Nahtod-Erfahrung erlebt hat.«
»Angenommen, sie hat tatsächlich eine solche Erfahrung gemacht und wäre dadurch zu einer Mörderin geworden, was schon recht unglaubwürdig ist: Was für ein Motiv sollte sie haben?«
»Rache.«
Ich stellte mich weiter dumm.
»Wofür?«
»Durey, hören Sie mit diesem Spiel auf. Sie wissen genauso gut wie ich, dass ihre Mutter 1988 versucht hat, sie umzubringen. Manon könnte sich daran erinnern, auch wenn sie das Gegenteil behauptet.«
Ein eisiges Kribbeln im Gesicht. Corine Magnan wusste viel genauer über den Fall Bescheid, als ich dachte. In skeptischem Ton fuhr ich fort:
»Lassen Sie mich zusammenfassen. Manon soll also, während sie im Brunnen mit dem Tod rang, eine negative Nahtod-Erfahrung durchlebt haben. Dieses Erlebnis soll sie dann langsam in ein rachedurstiges Monster verwandelt haben, das vierzehn Jahre wartete, ehe es zuschlug?«
»Das ist eine Hypothese.«
»Und Ihr einziges Indiz ist der Schockzustand von Luc Soubeyras?«
»Ja, und seine Entwicklung.«
»Man braucht konkrete Beweise, wenn man jemanden festnehmen will.«
»Aus diesem Grund nehme ich vorläufig niemanden fest.«
»Wollen Sie Manon erneut vernehmen?«
»Ja, vor meiner Rückreise nach Besançon.«
»Das hält sie nicht durch.«
»Sie ist nicht aus Zucker.« Ihr Ton wurde noch milder. »Durey, Sie sind bei dieser Geschichte Richter in eigener Sache. Und Sie wirken ziemlich gereizt. Wenn Sie Manon wirklich helfen wollen, dann halten Sie sich raus. Ansonsten machen Sie alles nur noch schlimmer.«
Meine Wut kehrte in gesteigerter Form zurück.
»Wie können Sie aus der Aussage eines Mannes, der gerade aus dem Koma aufgewacht ist, irgendwelche Schlüsse ziehen? Ich kenne Luc seit zwanzig Jahren. Er ist nicht so, wie er immer ist.«
»Sie tun so, als würden Sie nicht verstehen. Gerade dieser Zustand interessiert mich. Der psychische Einfluss einer negativen Nahtod-Erfahrung. Ich muss herausfinden, ob ein solches Trauma tatsächlich zu einem Verbrechen führen kann. Und ob Manon während ihres klinischen Todes ein ähnliches Erlebnis hatte …«
Die Situation wurde immer deutlicher. Mein bester Freund als Kronzeuge gegen die Frau, die ich liebte. Ein wahrhaft tragischer Zwiespalt. Corine Magnon fügte hinzu, wie um mir den Rest zu geben:
»Ich weiß viel mehr, als Sie ahnen. Agostina Gedda. Raimo Rihiimäki. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Teufelsvision einem Mord dieses Typs vorausgeht.«
»Wer hat Ihnen von diesen Fällen erzählt?«
»Luc Soubeyras hat nicht nur ausgesagt, er hat mir auch seine Ermittlungsakte gegeben.«
Mir wurde schwindlig. Ich hätte daran denken müssen. Ich stammelte:
»Seine Arbeit ist nur ein Gespinst unhaltbarer Mutmaßungen. Sie haben nichts gegen Manon in der Hand!«
»Dann brauchen Sie sich ja keine Sorgen zu machen«, versetzte sie in ironischem Tonfall. »Commandant, es ist spät. Rufen Sie mich bitte nicht mehr an.«
Ich schrie in den Hörer hinein, meine letzte Karte spielend:
»Eine Aussage unter Hypnose ist rechtlich wertlos! Wie umschiffen Sie die Klippe, dass der Zeuge laut Gesetz seine Aussage ›aus freien Stücken und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte‹ machen muss? Nach der Strafprozessordnung darf auf den Zeugen keinerlei Zwang ausgeübt werden!«
»Ich sehe, dass Sie juristisch beschlagen sind, das ist schön«, entgegnete sie sarkastisch. »Aber wer spricht von einer Aussage? Ich habe die Ausführungen Luc Soubeyras’ im Rahmen einer psychiatrischen Begutachtung aufgezeichnet. Luc ist ein freiwilliger Zeuge. Ich muss zunächst seinen Geisteszustand überprüfen lassen. In diesem Zusammenhang stellt die Hypnose kein Problem dar. Informieren Sie sich, es gab Präzedenzfälle.«
Magnan triumphierte. Ich entgegnete ohne rechte Überzeugung:
»Ihre Ermittlungen gleichen einem Kartenhaus.«
»Gute Nacht, Commandant.«
Das Freizeichen ertönte in meiner Hand. Ich starrte fassungslos auf mein Handy. Ich hatte diesen Satz verloren, und ich war sicher, dass mir Magnan nicht alles gesagt hatte. Ich wählte eine andere Nummer.
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