Das Herz der Hoelle
Foucault.
Es war 0.30 Uhr, aber seine Stimme war klar.
»Ich hab gerade Feierabend gemacht«, sagte er lachend.
»Woran arbeitest du?«
»Eine fantastische Geschichte wie von L’Isle-Adam. Ein Ertrunkener, der kein Wasser in den Lungen hat. Und du, was treibst du? Seit einer Woche …«
»Hast du Bock auf eine Angelpartie?«
»Wohin soll’s gehen?«
»Sag ich dir persönlich. Bist du in der Firma?«
»Bei mir zu Hause.«
»Wir treffen uns auf dem Square Jean XXIII.«
Ich sprang in mein Auto und fuhr über den Pont d’Austerlitz. Die Seine-Uferstraße Richtung Notre-Dame – der Square lag neben der Kathedrale. Ich stellte meinen Wagen auf dem linken Seineufer in der Nähe der Kirche Saint-Julien-le-Pauvre ab und ging dann zu Fuß und inkognito über den Pont de l’Archevêché wieder auf die andere Seineseite.
Ich stieg über den Drahtzaun. Foucault war schon da, er saß auf der Rückenlehne einer Bank. Sein gelockter Haarschopf hob sich von der grauen Mauer der Kathedrale auf der anderen Seite der Grünfläche ab.
»Was ist das hier?«, feixte er. »Etwa eine Verschwörung?«
»Eine Gefälligkeit.«
»Ich höre.«
»Eine Untersuchungsrichterin aus Besançon, die sich gegenwärtig in Paris aufhält.«
»Die für deinen Fall zuständig ist?«
»Corine Magnan, ja.«
»Wo hat sie sich einquartiert?«
»Das will ich von dir wissen. Ich bin ihr heute Morgen über den Weg gelaufen. Sie hat sich an die Typen von der Kriminalpolizeidirektion 1 gewandt, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie bei ihnen abgestiegen ist.«
»Okay, ich mach sie ausfindig. Und dann?«
»Ich will wissen, was sie über die Tochter von Sylvie Simonis, Manon, weiß.«
»Die bei dir wohnt?«
Neuigkeiten sprachen sich schnell herum. Aus Gründen der Diskretion hatte ich mich an das Dezernat zur Kriminalitätsbekämpfung in »Problembereichen« gewandt, um dort mein Observierungsteam anzuwerben. Aber bei der Polizei gibt’s keine Geheimnisse. Ich überging die Frage und fuhr fort:
»Ich brauche ihre Akte.«
»Ist das alles? Sie hat sie bestimmt Tag und Nacht bei sich.«
»Es sei denn, sie wiegt eine Tonne.«
»Wenn sie eine Tonne wiegt, kann ich sie nicht hinausschmuggeln und kopieren.«
»Du kriegst das schon hin. Du kopierst die Absätze, die Manon betreffen. Ich möchte wissen, was sie gegen Manon hat.«
Foucault sprang von der Bank herunter.
»Ich leg gleich los. Ich ruf dich morgen Früh an.«
»Nein, sobald du etwas Neues hast.«
»Ganz sicher.«
Ich drückte ihm den Arm.
»Danke.«
Ich blickte ihm nach, wie er unter den Trauerweiden des Square verschwand, während der Wind und der Geruch von feuchtem Asphalt mich einhüllten. Ich schlotterte, und trotzdem vermittelten mir diese Empfindungen ein Gefühl der Geborgenheit. Ich war zu Hause, in Paris.
Ich setzte mich auf die Bank. Der Regen war zu einem hauchfeinen, kaum wahrnehmbaren Nieseln geworden. Ich nahm den Faden meiner Gedanken dort wieder auf, wo ich ihn zwei Stunden zuvor abgelegt hatte. Die Hypothese eines Einzeltäters, der in der Lage war, den Körper eines lebenden Menschen in Verwesung zu versetzen und zugleich Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Der »Höllengast« …
Es fehlte nicht an Fragen. Wie ging er bei der Gehirnwäsche vor? War es ihm gelungen, eine Nahtod-Erfahrung nachzuahmen? Wenn dies der Fall war, wieso waren seine Opfer dann überzeugt davon, diese »Reise« unmittelbar vor oder nach ihrer Bewusstlosigkeit gemacht zu haben? War es ihm gelungen, auch ihre Erinnerungen durcheinanderzubringen?
Jedenfalls müsste man die technische Seite dieser Halluzinationen genauer erkunden – die chemischen Produkte, die Drogen oder die Methoden der Suggestion, mit denen sich solche Wahnvorstellungen auslösen ließen.
Plötzlich ging mir ein Licht auf.
Nur eine Substanz konnte derartige Halluzinationen herbeiführen. Die Schwarze Iboga. Mit ihrer Hilfe könnte der »Höllengast« vielleicht künstlich eine Hölle erzeugen und den Wundergeheilten darin »erscheinen«. Er versetzte sie in einen Zwischenzustand zwischen Leben und Tod, tauchte dann leibhaftig vor ihnen auf und manipulierte sie in ihrer Trance.
Wieder zurück zum Anfang der Ermittlungen.
Die Iboga war die Pflanze, mit
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