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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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eingewickelt in eine dicke weiße Decke, die an einen Judo-Kimono erinnerte. Ansonsten war die Zelle vollkommen leer. Keine Möbel, kein Fenster, keine Türklinke. Die Wände, die Decke und der Boden waren weiß und boten keinerlei Halt.
       »Im Augenblick ist er ruhig«, sagte Zucca. »Er steht unter Haldol, einem Antipsychotikum, das ihm eigentlich erlauben sollte, Wirklichkeit und Wahn zu unterscheiden. Wir haben ihm auch ein Beruhigungsmittel verabreicht. Die Zahlen sagen Ihnen vermutlich nichts, aber wir haben mittlerweile Dosierungen erreicht, die extrem hoch sind. Ich verstehe das nicht. Eine derart gravierende Verschlechterung in so kurzer Zeit …«
       Durch die Scheibe beobachtete ich meinen besten Freund. Wie er so regungslos dasaß unter seiner Decke. Sein bartloses Gesicht, sein kahlrasierter Schädel, sein abwesender Gesichtsausdruck in diesem vollkommen leeren Raum. Man hätte meinen können, es handle sich um eine künstlerische Performance. Ein nihilistisches Werk.
       »Kann er mich verstehen?«
       »Ich denke schon. Seit heute Morgen hat er kein Sterbenswörtchen von sich gegeben. Ich mache Ihnen auf.«
       Wir verließen das Zimmer. Während er den Schlüssel ins Schloss steckte, fragte ich:
       »Ist er wirklich gefährlich?«
       »Jetzt nicht mehr. Jedenfalls wird ihn Ihre Anwesenheit beruhigen.«
       »Weshalb haben Sie mich nicht früher kontaktiert?«
       »Wir haben heute Nacht eine Nachricht in Ihrem Büro hinterlassen. Ich hatte die Nummer Ihres Handys nicht. Und Luc erinnerte sich nicht mehr daran.«
       Er umfasste die Klinke und wandte sich zu mir um:
       »Erinnern Sie sich an unser gestriges Gespräch? Über das, was Luc in der Tiefe seines Unbewussten gesehen hat?«
       »Ich habe es nicht vergessen. Sie haben von der Hölle gesprochen.«
       »Diese Bilder verfolgen ihn heute. Der alte Mann. Die Wände aus Gesichtern. Das Stöhnen im Gang. Luc hat entsetzliche Angst. Die Kraft, die er heute Nacht gezeigt hat, erklärt sich durch diese panische Angst. Sie überfordert ihn buchstäblich.«
       »Ist es eine Panikattacke?«
       »Nicht nur. Er ist aggressiv, brutal und ordinär. Das brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu erklären.«
       »Wollen Sie damit sagen, dass er sich wie ein … Besessener verhält?«
       »In einem anderen Zeitalter hätte man ihn auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
       »Glauben Sie, dass sich sein Zustand verschlechtern wird?«
       »Es heißt bereits, er solle in unsere Abteilung für gefährliche Patienten eingewiesen werden. Aber meines Erachtens ist es dafür zu früh. Alles kann sich wieder einrenken.«
       Ich betrat die Zelle, während die Tür hinter mir abgeschlossen wurde. Jede Einzelheit versetzte mir einen Schlag. Das grelle Licht der Lampe, die in die Decke versenkt war. Der rote Kübel für die Notdurft in einer Ecke. Die Matratze, auf der Luc saß und die einer Turnmatte glich.
       »Wie geht’s?«, fragte ich in zwanglosem Ton.
       »Super.«
       Er lachte kurz höhnisch auf und mummte sich dann in die Decke ein, als wäre ihm kalt. Dabei war es drückend heiß. Ich lockerte meine Krawatte:
       »Du wolltest mich sprechen?«
       Luc wurde von einem Krampf geschüttelt. Ein Bein tauchte zwischen zwei Falten der Decke auf. Mit gesenktem Kopf kratzte er es heftig. Ich setzte ein Knie auf den Boden und wiederholte meine Frage:
       »Weshalb wolltest du mich sprechen? Kann ich dir helfen?«
       Er sah mich an. Unter seinen roten Brauen funkelten seine Augen fiebrig.
       »Ich will, dass du mir einen Dienst erweist.«
       »Und zwar?«
       »Erinnerst du dich an das Gleichnis, das Jesus bei seiner Gefangennahme erzählte?«
       Und er begann, die Augen zur Decke gerichtet, zu deklamieren:
       »Da wandte er sich an die Hohepriester, die Anführer der Tempelwächter und die Ältesten, die gekommen waren, ihn gefangenzunehmen und sagte: ›Tag für Tag war ich bei euch im Tempel und lehrte, und ihr habt mich nicht verhaftet, aber jetzt ist eure Stunde und die Macht der Finsternis gekommen.‹«
       »Was willst du damit sagen?«
       »Es ist die Stunde der Finsternis, Mat. Das Böse hat obsiegt. Es gibt keinen Weg zurück.«
       »Wovon redest du?«
       »Von mir.«
       Er fröstelte. Die Kälte schien ihn ganz durchdrungen zu haben.
       »Ich habe mich geopfert, Mat. Ich bin in mir gestorben, als ich in Vukovar zu den Waffen griff,

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