Das Herz der Hoelle
Verfahren der Wiederbelebung revolutioniert. Über alles, was sich auf diesem Gebiet tut, ist er im Bilde.«
Glühende und eiskalte Peitschenhiebe, die abwechselnd auf mein Gesicht niedergingen. Beltreïn passte hervorragend in das Profil des Serienmörders. Er war über die spektakulärsten Fälle von Wiederbelebung weltweit unterrichtet. Er verfügte über ein weitverzweigtes Netz internationaler Kontakte. Sein Wissenschaftliches Interesse galt den Grenzzuständen des menschlichen Lebens. Koma, Tod, Wiedererwachen. Ein Mann, der hinter der Fassade des streng rationalen Mediziners fasziniert sein musste vom Limbus des Unbewussten …
»Wissen Sie, ob er Luc mehrere Male besucht hat?«
»Was sollen diese Fragen?«
»Versuchen Sie sich zu erinnern.«
»Ja, er ist mehrere Male gekommen. Er ist mit dem Leiter der Klinik befreundet. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass er ein Buch schreibt.«
Ein Spezialist für Wiederbelebung. Ein Experte für Anästhesie. Ein Arzt, der imstande war, mit den Grenzen des menschlichen Lebens zu spielen. Unvermittelt schoss mir ein Bild durch den Kopf: Er steht an Lucs Bett und injiziert ihm ein Gemisch auf Iboga-Basis, dann schminkt und verkleidet er sich und tanzt in der Dunkelheit …
Der teuflische Albino im Höllentunnel.
»Bei unserem ersten Gespräch«, sagte ich kurzatmig, »haben Sie Einstichstellen an den Armen Lucs erwähnt.«
»Na und?«
»Haben Sie in den letzten Tagen neue Stellen entdeckt?«
Thuillier verstand endlich, worauf ich hinauswollte:
»Glauben Sie, dass Beltreïn Ihr Doktor Mabuse ist?«
»Gibt es frische Einstichstellen, ja oder nein?«
»Das lässt sich unmöglich sagen. Jemand, der wiederbelebt worden ist, gleicht einem Nadelkissen. Infusionen, Spritzen, Schläuche …«
»Danke, Doktor.«
»Warten Sie. Ich kenne Beltreïn schon lange und …«
»Ich rufe Sie an.«
Ich legte auf, ohne von meinem Verdacht abzurücken. So oder so bestand eine Verbindung zwischen Beltreïn und den Lichtlosen. Es war jetzt 14.40 Uhr. Und noch immer keine Neuigkeit von Manon.
Inmitten der Aufregung kam mir plötzlich ein Plan. Den ersten TGV nach Lausanne nehmen, um Beltreïn gleich nach seiner Rückkehr von dem Seminar zu befragen. Besser noch: Vor seiner Ankunft seine Wohnung zu durchsuchen.
Vielleicht würde ich acht Stunden sinnlos vergeuden.
Vielleicht würde ich aber auch den Schlussstrich unter meine Ermittlungen ziehen können.
Ich rief Foucault an und bat ihn darum, Manon nach ihrer Entlassung aus dem Polizeigewahrsam abzuholen und bei ihr zu bleiben. Ich wusste, dass er ihr Vertrauen gewinnen würde. Kaum hatte er aufgelegt, wählte ich auch schon die Nummer der Gare de Lyon.
KAPITEL 110
TGV, Erste Klasse.
Im komfortablen Großraumwagen schießen Wälder, Ebenen und Hügel an mir vorbei. Die Stirn an die Fensterscheibe gedrückt, denke ich an eine riesige Säge, die die Landschaft zerschneidet und aufschlitzt wie einen vollen Magen. Der surrende Fahrtwind und das sanfte Ruckeln auf den Gleisen verstärken noch das Gefühl, in einem hermetisch abgeschlossenen Raum zu sitzen, einem Bunker, der pfeilschnell dahinrast.
Um mich herum sitzen Krawatte tragende Männer, die Augen auf ihre Notebooks geheftet, den Kopf über ihr Handy gebeugt. Telefonate. Immer der gleiche ernste, besonnene, klügelnde Ton, die gleichen geschäftlichen Themen, derselbe verbissene Materialismus. All dies wahrgenommen durch den Schleier meines eigenen Albtraums …
War es möglich, dass sich hinter dem biederen Menschen ein bestialischer Mörder verbarg?
Moritz Beltreïn, der »Höllengast«?
Zum hundertsten Mal wog ich Pro und Kontra ab.
Pro. Sein Kontakt zu den vier Tatverdächtigen. Seine Lüge in Bezug auf Agostina und Raimo bei unserer ersten Begegnung. Seine Kenntnisse in den Bereichen Koma, Wiederbelebung und Pharmakologie. Sein Wohnort, unweit der Täler des Jura, einer Region, die mir von Anfang an als die Wiege des Mörders erschien …
Kontra. Beltreïn, ein international angesehener Experte auf dem Gebiet der Reanimation, könnte aus rein wissenschaftlichen Gründen Kontakt zu den Überlebenden aufgenommen haben. Seine äußere Erscheinung: Wie sollte sich der kleine Mann mit den großen Brillengläsern in einen spindeldürren Engel, einen Greis mit leuchtendem Haar, ein Kind mit
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