Das Herz der Hoelle
Raimo wären imstande gewesen, ihre Opfer in dieser Weise zuzurichten. Ich wusste, dass Manon ihre Mutter nicht getötet hatte. Wenn es weder Beltreïn noch die scheinbar durch ein Wunder Geheilten waren, wer war es dann?
Die Idee eines Komplizen nahm Gestalt an. Mehr als ein Komplize: der eigentliche Mörder. Beltreïn war vielleicht wirklich nur ein Komparse. Er half, unterstützte, belieferte den Mann, der sich als Engel oder Greis verkleidete. Den Mann, der seine Opfer tagelang folterte. Den Mann, der Ende der neunziger Jahre an die Dreißig war …
18 Uhr
Es war dunkel geworden. Ich hatte nur meine Schreibtischlampe angemacht, deren Streiflicht auf meine Notizen, Berichte und Fotos fiel. Ich war völlig in Gedanken versunken und spürte instinktiv, dass ich kurz vor dem Durchbruch stand, den ich allein durch konzentriertes Nachdenken erreichen würde.
Ich dachte an ein letztes Sandkorn und hob den Telefonhörer ab.
»Svendsen? Mathieu.«
»Wo warst du? Du warst schon wieder verschwunden.«
»Ich bin heute Morgen zurückgekommen.«
»Niemand hat verstanden, wieso du bei der Beerdigung …«
»Ich hatte meine Gründe. Ich ruf dich nicht deshalb an.«
»Ich höre.«
»Hast du die Leichen von Laure und den Kleinen obduziert?«
»Nein, ich habe es abgelehnt. Die Kinder haben auf meinem Schoß gesessen, verstehst du?«
Ich erkannte Svendsen nicht wieder. Das war nicht sein Stil. Aber, ganz gleich, in welcher seelischen Verfassung er war, er musste mir in dieser Sache helfen.
»Der Fall ist nicht abgeschlossen«, sagte ich mit fester Stimme. »Könntest du …«
»Die Antwort ist Nein.«
»Hör zu. Irgendetwas ist da faul.«
»Nein.«
»Ich versteh dich. Aber der Typ, der die Mädchen auf dem Gewissen hat, läuft frei herum. Damit kann ich mich nicht abfinden. Und du auch nicht.«
Kurzes Schweigen. Der Schwede fragte:
»Wonach genau suchst du?«
»Meines Wissens wurde ihnen die Kehle durchgeschnitten. Wenn diese Morde nach dem gleichen Muster geschehen sind, wie es Luc behauptet, dann muss dies an den Leichen abzulesen sein. Ein satanistisches Symbol. Oder eine Manipulation des natürlichen Verwesungsvorgangs.«
»Bist du ebenfalls der Meinung, dass es eine Verbindung zu den anderen Morden gibt?«
»Ich glaube, dass es derselbe Täter ist.«
»Und Beltreïn?«
»Beltreïn war vielleicht nicht der Insektenmörder. Oder aber er hatte einen Komplizen. Er züchtete das Geziefer und stellte die chemischen Substanzen für den eigentlichen Täter her. Für denjenigen, der Laure und die Kinder ermordet und der seine Signatur zurückgelassen hat.«
Erneutes Schweigen. Svendsen überlegte. Ich nutzte die Chance.
»Wenn ich recht habe, wenn der Mörder der Soubeyras mit dem Insektenmörder identisch ist, dann hat er etwas in ihren Leichen versteckt. Ein Spiel mit der Chronologie. Eine Beschleunigung der Verwesung. Etwas, was seine Handschrift erkennen lässt.«
»Nein. Als sie gefunden wurden, waren die Körper noch warm. Sie schwammen in ihrem Blut. Ich habe nichts von irgendwelchen ungewöhnlichen Befunden …«
»Überprüf das. Der Gerichtsmediziner, der die Leichenschau durchführte, hat vielleicht ein Detail übersehen.«
»Die Leichname sind seit Tagen beigesetzt. Falls du an eine Exhumierung denkst …«
»Ein Blick auf die Gutachten, das ist alles, worum ich dich bitte. Lies nach, was sie über das Verwesungsstadium der Leichen sagen. Die Zahlen, die Analysen, der geringste Hinweis auf den Zustand der Leichen, als sie entdeckt wurden. Überprüf, ob sich kein Zeichen findet, das der bizarren Gedankenwelt desjenigen entstammt, der die anderen Morde begangen hat.«
Nach einer weiteren Pause sagte der Schwede schließlich:
»Ich melde mich.«
Ich holte mir einen Kaffee aus der Maschine, wobei ich durch den Gang schlich, um keinem Kollegen zu begegnen. Dann vertiefte ich mich wieder in die Akte. Ein neues Kapitel – das Profil von Moritz Beltreïn. Sein Leben, seine Leidenschaften, seine Kontakte. Ich hatte dieses Kapitel bereits eingehend studiert, aber jetzt suchte ich etwas anderes. Eine Person, die immer wieder in seinem Umfeld auftauchte. Einen Mann im Verborgenen.
Ich vergrub mich ein weiteres Mal in seine Biografie. Der Mann hatte sein Leben damit verbracht, Menschen wiederzubeleben. Er
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