Das Herz der Hoelle
Talent für Tarnungen bestätigt sich. Es gelingt mir, mich überall unerkannt einzuschleichen; ich gewinne das Vertrauen von Zuhältern und Prostituierten, entdecke mit einem Lächeln auf den Lippen die scheußlichsten Perversionen. Swinger-Clubs, Sadomaso-Clubs, »Spezialpartys« … Ich ertappe in flagranti, ich beobachte, ich verhafte. Ohne Ekel und ohne Gefühle. Ich bin für jeden Bereitschaftsdienst zu haben. Nachts, um live bei den Einsätzen dabei zu sein. Tags, um die Zeugenaussagen der Personen, die Anzeige erstattet haben, aufzunehmen, um die Prostituierten und die Familien der Opfer zu trösten.
Häufig mache ich vierundzwanzig Stunden Dienst am Stück. Ich bewahre die Kleider zum Wechseln in meinem Büro auf. Meine Kollegen halten mich für arbeitssüchtig, einen »Workaholic«, der sich einschleimen will. Wenn ich so weitermachte, würde ich schon bald zum Capitaine befördert, wie alle wissen. Aber niemand ahnt, was mich wirklich antreibt. Diese erste Station, Sexualstraftaten, ist nur eine Etappe. Der erste Höllenkreis. Ich möchte tiefer in das Böse in all seinen Facetten eindringen, um es besser bekämpfen zu können.
Übrigens täuschen sich meine Kollegen über meinen Gemütszustand. Ich bin glücklich. Ich befolge eine Regel in der Regel. Nach außen hin bin ich Polizist, aber innerlich richte ich mein Leben nach den drei Mönchsgelübden: Gehorsam, Armut, Keuschheit. Ich habe aus eigenen Stücken ein weiteres hinzugefügt: Einsamkeit. Ich halte eisern an diesen Regeln fest.
Tag für Tag bete ich in Notre-Dame. Tagtäglich danke ich Gott für die Erfolge, die mir vergönnt sind. Und dafür, dass Er mir – wie ich fest glaube – die Methoden, die ich anwende, vergibt. Gewalt. Drohungen, Lügen. Ich danke Ihm auch für die Hilfe, die ich den Opfern gewähre – und dafür, dass er den Schuldigen vergibt.
Meine Krankheit ist nicht verschwunden. Selbst mitten in Paris, auf dem Boulevard de Strasbourg oder der Place Pigalle, schrecke ich beim Rauschen meines Radios oder beim Kratzen eines eisernen Gitterkorbs auf dem Gehsteig zusammen. Aber ich habe einen Weg gefunden, um mich zu beruhigen. Ich verschmelze die Gewalt der Vergangenheit mit der Gewalt der Gegenwart.
September 1999
Ein Jahr im Schmutz, ein Jahr in der Höhle des Lasters. Die meiste Arbeit machen nicht die Perversen, sondern die Zuhälter, die Netze. Tagelanges Auflauern und Beschatten slawischer Mafiagangster, maghrebinischer Ganoven, halbseidener Geschäftsleute, aber auch korrupter Honoratioren und Politiker. Nächtelanges Ansehen von Kassetten, Surfen im Internet, im Wechsel von Ekel und Erektion.
Ich muss auch die Augen vor dem verschließen, was sich in den Kulissen des Dezernats abspielt: Kollegen, die sich von Transvestiten einen blasen lassen, Praktikanten, die Videokassetten für ihren persönlichen Gebrauch entwenden. Der Sex ist überall, auf beiden Seiten des Spiegels.
Ein schwarzer Ozean, in dessen Tiefen ich ohne Atemgerät tauche.
Im Lauf der Monate stelle ich eine Veränderung fest. Meine Persönlichkeit weckt weniger Argwohn. Die Richter, die in mir lediglich einen Karrieristen sahen, unterzeichnen anstandslos die Durchsuchungsbefehle, um die ich sie bitte. Meine Kollegen sprechen mit mir und beginnen sogar zu schätzen, dass ich ein aufmerksamer Zuhörer bin. Aus ihren Vertraulichkeiten werden Bekenntnisse, und ich ermesse, wie sehr der Kampf gegen das Böse auf uns abfärbt, uns dazu zwingt, jeden Tag die Grenze zu überschreiten. Ich verdiene meinen Spitznamen »der Pfarrer« immer mehr.
Ich denke an Luc. Wo ist er heute? Irgendeine Kriminalpolizeidirektion? Pariser Mordkommission? Eine Dienststelle im Innenministerium? Seit Ruanda habe ich den Kontakt zu ihm verloren. Ich hoffe, ihm zufällig bei einer Ermittlung oder in einem Flur über den Weg zu laufen. Eine Stimme, die aus einem Büro dringt, eine Gestalt am anderen Ende eines Gerichtssaals – ich glaube, ihn wiedergefunden zu haben, ich stürze hin, doch er ist es nicht.
Trotzdem will ich keinen Kontakt zu ihm aufnehmen. Ich vertraue darauf, dass wir uns eines Tages wiedersehen werden, denn wir gehen den gleichen Weg.
Eine andere Figur aus der Vergangenheit zieht mich gelegentlich aus dem Morast des Alltags. Meine Mutter. Mit dem Alter und nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich mir angenähert. Maßvoll: ein Mittagessen pro Woche, in einem Café der Rive gauche.
»Und wie geht es
Weitere Kostenlose Bücher