Das Herz der Hoelle
d’Austerlitz. Unter einem riesigen Vorbau schirmte ein eisernes Gatter den Eingang des Lokals ab. Man musste durch einen Metalldetektorrahmen gehen und wurde anschließend gefilzt.
Einer der Türsteher, ein kongolesischer Koloss mit dem Spitznamen Nounours, grölte, sobald er mich sah: »Zweiundzwanzig, da kommen die Bullen!« Lautes Lachen. Wie um sich zu entschuldigen, stempelte er ein blaues Siegel auf meine Hand, das mir Anspruch auf ein Gratisgetränk gab. Ich bedankte mich und tauchte in den Schuppen ein. Ich verließ die Haute Couture und betrat einen Supermarkt.
Das Atlantis, wo man im Zouk badete wie in einem Meer. Die Vibration der Lautsprecher ging mir durch Mark und Bein. Mehrere Tausend Quadratmeter, in Dunkelheit gehüllt, wo hastig Sitzbänke und Tische aufgebaut worden waren. Ich orientierte mich mit den Augen, aber auch mit dem Instinkt. Ich fühlte mich wie ein Schwimmer, der sich mit der Strömung treiben lässt.
Über die Kanapees hinwegsteigend, gelangte ich zur Theke, die voller Flaschen war. Einer der Barkeeper hatte die Jahre meiner Abwesenheit überlebt. Ich schrie:
»Ist Claude da?«
»Wer?«
»CLAUDE!«
»Muss bei Pat sein. Dort steigt heut ’ne Fete.«
Das also war der Grund, weshalb mir kein Bekannter über den Weg lief. Sie waren alle dort.
»Pat? Welcher Pat?«
»Der Lebensmittelhändler.«
»In Saint-Denis.«
Der Mann nickte mit dem Kopf und bückte sich, um nach einer Handvoll Eiswürfel zu greifen. Seine Bewegung enthüllte, in dem Spiegel mir gegenüber, eine Gestalt, die nicht hierherpasste. Ein Weißer mit fahlem Gesicht, schwarz gekleidet. Ich drehte mich um, doch da war niemand. Eine Halluzination? Ich steckte dem Barkeeper einen Schein zu und machte mich gegen meine Müdigkeit kämpfend aus dem Staub.
KAPITEL 18
Ich fuhr an der Porte de Bercy auf den Boulevard Périphérique und nahm unmittelbar nach der Porte de la Chapelle die Autobahn A1. Nach einem Kilometer sah ich unterhalb von mir die weiten Ebenen der Banlieue glitzern.
3 Uhr morgens
Auf den vier höher gelegenen Fahrbahnen war kein einziges Auto zu sehen. Ich fuhr an dem Schild SAINT-DENIS-ZENTRUM vorbei und nahm die Ausfahrt SAINT-DENIS-UNIVERSITÄT – PEYREFITTE. Just in diesem Moment glaubte ich im Rückspiegel das bleiche Gesicht zu sehen, das im Spiegel des Atlantis aufgeblitzt war. Ich riss das Lenkrad herum und überfuhr den Seitenstreifen, ehe ich den Wagen wieder unter Kontrolle brachte. Ich bremste ab und spähte in den Rückspiegel: niemand. Hinter mir war kein Auto.
Ich fuhr unter der Autobahnbrücke durch und bog nach links ab, wobei ich der Achse über mir folgte. Schon bald wichen die Einfamilienhäuser und Siedlungen den hohen Mauern von Lagerhallen und aufgelassenen Fabriken. Leroy-Merlin, Gaz de France …
Ich bog nach rechts ab, dann wieder nach rechts. Eine Gasse, gedämpfte Beleuchtung, Menschenansammlungen vor den Vorbauten. Ich schaltete die Scheinwerfer aus und fuhr weiter, wobei der Wagen auf der von Schlaglöchern übersäten Fahrbahn tüchtig durchgerüttelt wurde. Fleckige Mauern, Löcher, die mit Brettern ausgebessert waren, Autos, die auf ihren bloßen Achsen abgestellt worden waren, keine Parkuhren. Die heruntergekommenen Vororte in Reinkultur.
Ich fuhr an den ersten Gruppen vorbei, ausnahmslos Schwarze. Über den Gebäuden zeichnete sich die Silhouette der Autobahn wie ein drohender Arm ab. Regen lag in der Luft. Ich parkte den Wagen ganz diskret und bewegte mich noch diskreter, denn ich spürte, dass ich mich auf schwarzem Territorium befand: hundert Prozent afrikanisch, hundert Prozent gefeit gegen französische Gesetze.
Ich schlängelte mich durch die Nachtschwärmer hindurch, ging an dem Eisengitter des Lebensmittelgeschäfts von Pat vorbei und betrat das nächste Gebäude. Ich kannte mich hier aus und bewegte mich ohne Zögern. Ich gelangte in einen Hof, der von lautem Stimmengewirr und Gelächter widerhallte. Der Türsteher auf der linken Freitreppe erkannte mich und ließ mich durch. Allein für diese Ersparnis an Zeit und Überredungskünsten steckte ich ihm zwanzig Euro zu.
Ich ging durch den Flur und gelangte in den hinteren Teil des Lebensmittelgeschäfts, der mit einem Vorhang aus Muscheln abgetrennt war. Der am besten sortierte afrikanische Lebensmittelladen von ganz Paris: Maniok, Sorgho, Affe, Antilope … Sogar magische Pflanzen, deren Wirksamkeit
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