Das Herz der Hoelle
wie die Pfiffe der blutrünstigen Hutus …
Ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, als Tänzer in den Alkoven zurückwichen und mich gegen den Tisch drückten. Der Scotch spritzte aus den Gläsern. Claude verbrannte sich an dem Joint:
»Scheiße!«
Die Schläfe nass von Alkohol, wandte ich mich zur Tanzfläche: Männer und Frauen wichen zur Seite, als wäre eine Schlange aus den Netzen gefallen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und entdeckte in der Mitte einen Schwarzen, der, von Krämpfen geschüttelt, auf dem Boden lag. Seine Augen waren weiß, Schaum stand ihm vor dem Mund. Der Mann war reif für die Notaufnahme, aber niemand näherte sich ihm.
Die Musik spielte weiter. Sie war nicht viel mehr als das Hämmern von Trommeln und die herzzerreißenden Töne von Blechinstrumenten. Die Tänzer und Tänzerinnen wiegten sich wieder in den Hüften, wobei sie darauf achteten, den Typen in Trance nicht zu berühren; andere klatschten in ihre Hände, als ob sie das Böse aus dem Besessenen austreiben wollten. Ich brauchte die Ellbogen, um ihm Erste Hilfe zu leisten, doch Claude hielt mich zurück.
»Schon gut, Toub. Der berappelt sich wieder. Ein Gabuner. Diese Typen können sich einfach nicht benehmen.«
»Ein Gabuner?«
Die Gabuner bildeten in Paris eine kleine, friedliche Gemeinschaft. Das Land von Omar Bongo besaß reiche Erdölvorkommen, und seine Staatsbürger waren immer adrette und diskrete Studenten. Nicht zu vergleichen mit den Kongolesen oder den Leuten von der Elfenbeinküste.
»Er hat ein einheimisches Produkt genommen. So ein Zeug aus seinem Land.«
»Eine Droge?«
Claude lächelte, die Augen halb geschlossen. Schon schaffte man den Mann weg, der an Halluzinationen litt und starr wie ein Baumstamm war. Ich meinte nur:
»Ist wohl ziemlich stark.«
Claude lächelte, den Kopf nach hinten gebeugt:
»Wir Schwarzen wissen halt, wie man sich einen Trip reinzieht!«
KAPITEL 19
Rue Myrrha, 5 Uhr morgens
Arbeiter der Straßenreinigung spritzten den Gehsteig mit Wasserschläuchen ab, während ein Einsatzfahrzeug der Polizei langsam Streife fuhr. Unter den Vorbauten zeichneten sich vage die Gestalten von Prostituierten ab, die den Tagesanbruch abwarteten, um endlich verschwinden zu können.
Das war die verwahrloste Seite des afrikanischen Stadtviertels von Paris. Auch wenn in der Rue de la Goutte-d’Or eine Polizeidienststelle eingerichtet und am Boulevard Barbès ein Virgin-Kaufhaus eröffnet worden war, auch wenn die meisten Gebäude renoviert worden waren, sah die Rue Myrrha noch immer heruntergekommen aus: alt, baufällig, bedrohlich.
Am Eingang von Nr. 56 schloss ich mit einem Universalschlüssel, wie ihn auch Briefträger benutzen, die Tür auf. Ramponierte Briefkästen, ein einsturzgefährdetes Gebäude, auf die Wände gemalte Buchstaben, die die verschiedenen Aufgänge bezeichneten. Kein besetztes Haus, aber doch ein verwahrloster Wohnblock, der reif war für eine Immobilienpleite. Ich erspähte den Buchstaben A und stieg die Treppe hinauf.
In jedem Stockwerk tat sich eine mit Bauschutt gefüllte Grotte oder ein mit Brettern vernagelter Flur auf. Im dritten Stock schlüpfte ich unter Stromkabeln hindurch, die von der Decke hingen. Alles schien zu schlafen, selbst die Gerüche.
Ein hünenhafter Schwarzer döste auf einem Stuhl vor sich hin. Als magisches »Sesam, öffne dich« zückte ich noch einmal meinen Dienstausweis. Er zog die Augenbrauen hoch, als würde ein Teil der Botschaft fehlen. Ich murmelte »Foxy«. Er richtete sich auf, um die schmutzige Decke, die als Tür diente, beiseitezuziehen, und ging mir voraus in die Höhle.
Zu beiden Seiten des Korridors lagen Zimmer. Ein Schlafsaal links, ein weiterer rechts: Auf Matten ruhten eingemummte Amazonen, quer durch die Räume waren Wäscheleinen gespannt, an denen Kleidungsstücke trockneten. Hier erwachten die Gerüche wie bei einem Blatt, das man zerreibt, eine Mischung aus Gewürzen, Schweiß und Staub; und dieser typische Geruch der Tropen: geröstete Hirse, Holzkohle, verfaultes Obst …
Ein weiterer Türrahmen, ein weiterer Vorhang. Der Hüne schickte sich an, an den Türpfosten zu klopfen. Ich hielt ihn zurück.
» It’s O.K. «
Noch ehe er etwas erwidern konnte, war ich bereits durch den Vorhang geschlüpft.
Die nächtlichen Halluzinationen gingen weiter. Die Wände waren mit dunklem,
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