Das Herz der Hoelle
Botschaft?«
Sie kam näher. Die hohen Stämme der Tannen heulten im Wind, wie die Pfeifen einer pflanzlichen Orgel.
»Sie haben recht«, räumte sie ein. »Ich habe etwas unterschlagen. Es war schließlich nicht so wichtig, für die Ermittlungen, meine ich … Aber für unsere Stiftung war es das Wichtigste. Als ich die Leiche fand, habe ich sofort erkannt, dass es sich um einen Angriff Satans handelt. Ich bin ins Kloster zurückgekehrt, um Handschuhe zu suchen. Gummihandschuhe zum Geschirrspülen. Ich habe die Leiche verschoben, um … nun ja, um ihre intime Stelle zu verbergen.«
Ich stellte mir die Szene und den Zustand des Leichnams vor. Diese Frau war couragiert.
»Als ich die Beine umdrehte, habe ich den Gegenstand gesehen.«
»Was für einen Gegenstand?«
Sie sah mich erneut von der Seite an. Sie bekreuzigte sich und versetzte:
»Ein Kruzifix, bei Gott, sie hatte ein Kruzifix in der Vagina stecken.«
Diese Enthüllung erleichterte mich fast. Wir befanden uns auf vertrautem Gelände. Diese Schmähung war eine klassische Form der Schändung. Sie war weit entfernt von dem perversen Wahnsinn des Mordes. Um das Maß vollzumachen, fügte ich hinzu:
»Ich nehme an, dass das Kruzifix auf dem Kopf stand.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich bin ein Experte, vergessen Sie das nicht.«
Sie bekreuzigte sich ein weiteres Mal. Ich wollte umkehren, als mir schwindlig wurde. Irgendjemand beobachtete mich von irgendwo im Dämmerlicht. Ein wütender Blick, der mich mit Ekel erfüllte. Unvermittelt empfand ich eine totale Verwundbarkeit. Diese flammenden Augen, die ich nicht sah, aber die in mich drangen wie ein glühendes Eisen, beschmutzten mich und zogen mich aus.
Eine Hand hielt mich fest.
»Vorsicht, fallen Sie nicht.«
Ich sah Marilyne erstaunt an und suchte dann mit dem Blick die Tannen ab. Nichts, natürlich. Ich fragte mit veränderter Stimme:
»Haben Sie dieses Kruzifix aufgehoben?«
Ihre Hand verschwand unter dem Mantel. Sie legte einen in ein Tuch geschlagenen Gegenstand in meine Hand.
»Nehmen Sie es, und verschwinden Sie.«
Marilyne gab mir ihre Handynummer. »Für alle Fälle.« Ich zeigte ihr meinerseits das Porträt von Luc: Noch nie gesehen. Ich drehte mich wieder um und ging auf die Tannen zu. Sie fragte hinter mir:
»Weshalb haben Sie uns den Rücken gekehrt?«
»Ich habe niemanden verlassen. Mein Glaube ist ungebrochen.«
»Wir brauchen Männer wie Sie. In unseren Pfarreien.«
»Sie kennen mich nicht.«
»Sie sind jung und integer. Unsere Religion erlischt mit meiner Generation.«
»Der christliche Glaube beruht nicht auf einer mündlichen Überlieferung, die mit ihren Anhängern verschwindet.«
»Gegenwärtig ist sie eine Gemeinschaft alter, gebrechlicher Menschen. Unsere Jungen schlagen andere Wege ein, führen andere Kämpfe. Wie Sie.«
Ich steckte das Kruzifix in die Tasche.
»Wer sagt Ihnen, dass es sich nicht um den gleichen Kampf handelt?«
Marilyne wich verwirrt zurück. Ich hatte sie in ihre eigene Falle gelockt: Gott gegen Satan. Ich ging weiter, ohne mich umzudrehen. Ich hatte es nur so dahingesagt, aber ins Schwarze getroffen.
Der geschändete Leichnam Sylvies war nicht bloß eine Provokation.
Er war eine Kriegserklärung.
KAPITEL 32
Es war dunkel, als ich in Sartuis eintraf.
Ich hatte einen Marktflecken im Jura mit Fachwerkhäusern und steinernem Kirchturm erwartet, doch ich kam in eine neue, in Beton gegossene Stadt. Eine Hauptstraße, wie mit dem Lineal gezogen, teilte das Zentrum. Die meisten Gebäude beherbergten Uhrmacherwerkstätten, die seit Langem geschlossen waren: Die reglosen Zeiger ihrer Pendeluhren, die einst ihre Aushängeschilder waren, bezeugten es.
Sartuis, dachte ich, die Stadt, wo die Zeit stehen geblieben ist.
Ich kannte die Geschichte der Region. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sie im Zeichen der Uhrenindustrie und der Mechanisierung einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Die Zukunftsaussichten schienen so rosig, dass man in den fünfziger Jahren eine Stadt wie Sartuis aus dem Boden stampfte. Aber der Traum war geplatzt. Die Konkurrenz aus Asien und die Quarz-Revolution hatten den großen Hoffnungen des Jura ein Ende bereitet.
Ich gelangte auf den zentralen Platz, wo die angrenzenden Häuser in traditionellerem Stil erbaut
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