Das Herz der Hoelle

darauf, ein Strafverfahren gegen den Verdächtigen einzuleiten, und der Untersuchungsrichter Gilbert de Witt hat, in Begleitung von Gendarmen aus Sartuis, auf der anderen Seite der Grenze mit der Vernehmung begonnen.
        Wer ist Richard Moraz? Ein Arbeitskollege von Sylvie Simonis, der es nie verwunden hat, dass Sylvie im September letzten Jahres befördert wurde, während man ihn überging. Diese Enttäuschung fällt exakt mit dem Beginn der anonymen Anrufe zusammen …
        Das Motiv – Konkurrenzneid – scheint als Erklärung für den Mord nicht zu genügen. Aber es gibt noch ein weiteres Indiz: Delphine Moraz, die Ehefrau von Richard, ist Arbeiterin in der Fabrik Lammerie, die Sprachverzerrer produziert.
        Wir in der Redaktion des Courrier du Jura haben zwei weitere Fakten ermittelt: Richard Moraz ist bei der Schweizer Bundespolizei kein Unbekannter. 1983, als er an der Schule für Uhrmacherkunst in Lausanne unterrichtete, wurde er wegen Verführung Minderjähriger angeklagt. Und außerdem besitzt Moraz für die Stunde und den Tag des Mordes kein Alibi. Am 12. November um 17 Uhr saß er in seinem Auto und war unterwegs zu seiner Wohnung.
        Diese Umstände machen den Uhrmacher noch nicht zum Täter. Und Moraz gehört auch nicht zum Kreis jener vertrauten Personen, die Manon dazu hätten bewegen können, ihm zum Klärwerk zu folgen. Der Uhrmacher ist außerdem ein Koloss von mehr als hundert Kilo, der nicht unbedingt Vertrauen einflößt. Einige munkeln hinter vorgehaltener Hand, seine Frau habe möglicherweise Beihilfe geleistet. Waren es in Wirklichkeit zwei Täter?
        Wenn Gilbert de Witt den Verdächtigen nicht zu einem Geständnis bewegen kann, muss er ihn freilassen. Der Richter und Commandant Lamberton täten gut daran, ihr Schweigen zu brechen. Durch eine offenere Informationspolitik könnten sie die Bürger beruhigen und Verdächtigungen aus dem Weg räumen. In Sartuis steigt die Temperatur jeden Tag etwas weiter!
        
    Bald darauf wurde Richard Moraz wieder auf freien Fuß gesetzt. Die dürftigen Indizien gegen ihn reichten für eine Anklageerhebung nicht aus. Die Stadt der Uhrmacher verfiel erneut in tiefe Ratlosigkeit. Die Gerüchteküche brodelte, und alle möglichen Verdächtigungen kamen auf. Und Chopard heizte diese unheilvolle Atmosphäre noch weiter an.
       Als Weihnachten vor der Tür stand, hatte sich die Situation entspannt. Die Lokalzeitungen brachten immer weniger Artikel über den Fall. Chopard selbst wurde seiner Kolumne überdrüssig. Der Fall Simonis verblasste allmählich.
       Anfang des folgenden Jahres kam es dann abermals zu einer überraschenden Wendung. Ich las noch einmal den Artikel vom 14. Januar 1989 durch:
FALL SIMONIS: DER MÖRDER GESTEHT!
    Die Nachricht wurde gestern Abend bekannt. Sartuis steht unter Schock. Vorgestern Nachmittag hat die Polizei einen neuen Verdächtigen vorläufig festgenommen. Dieser hat den Mord an Manon Simonis gestanden.
        Patrick Cazeviel, 31 Jahre, stammt aus dem Raum Metz und ist der Polizei kein Unbekannter. Er hat bereits zwei Gefängnisstrafen, beim ersten Mal drei und beim zweiten Mal vier Jahre, verbüßt wegen Einbruchs und tätlichen Übergriffen. Wie ist die Polizei von Sartuis auf diesen gewalttätigen Soziopathen gestoßen? Ganz einfach: Cazeviel ist ein Kindheitsfreund von Sylvie Simonis.
        Als Waise war er mit zwölf Jahren in einem Jugendheim in Nancy untergebracht, wo er Sylvie kennenlernte, die drei Jahre jünger war als er. Trotz ihres unterschiedlichen Naturells und Ehrgeizes waren die beiden Jugendlichen unzertrennlich – und zweifellos hat Cazeviel seine große Jugendliebe nie vergessen. Als Sylvie ihr Stipendium erhielt und ihr Studium der Uhrmacherei aufnahm, wurde Cazeviel zum ersten Mal verhaftet. Ihre Wege trennten sich. Sylvie heiratete Frédéric Simonis, mit dem sie eine Tochter hatte.
        Der Ursprung dieses abscheulichen Mords liegt also vielleicht in einer Liebesgeschichte. Was ist im Herbst letzten Jahres geschehen? Haben sich Sylvie Simonis und Patrick Cazeviel wiedergesehen? Vielleicht hat sie ihn abgewiesen. Dann wollte er sich womöglich dafür rächen, indem er die Frucht von Sylvies Ehe zerstörte. Hat er die Familie mit seinen anonymen Anrufen belästigt?
        Bis jetzt haben sich der Richter und die Polizei nicht weiter dazu geäußert. Sie haben lediglich die Verhaftung Cazeviels bekannt gegeben und sein Geständnis aufgezeichnet. Er wird bald in die