Das Herz der Hoelle
versehentlich in den Schacht gefallen. Philippe Setton hatte all dies den Medien erklärt. Zum Schluss musste er allerdings einräumen, dass der Junge kein Geständnis abgelegt hatte. »Noch nicht«, sagte er mehrfach auf kritische Nachfragen der Journalisten.
Zwei Tage später wurde Thomas Longhini auf freien Fuß gesetzt und die Polizisten wegen ihrer Methoden und ihres überstürzten Vorgehens heftig kritisiert. Die Gendarmen selbst hatten sich auf die Seite des Jugendlichen gestellt und auf die Absurdität der Argumentation ihrer Kollegen und die telefonischen Drohungen hingewiesen. Wenn Manon Simonis bei einem Unfall ums Leben gekommen wäre, wer hätte sich dann zu dem Mord bekannt, bevor er überhaupt publik gemacht worden war? Wer bedrohte Sylvie Simonis seit Monaten?
Die Spur Longhini war die letzte Akte des Dossiers. Im September 1989 beendete Jean-Claude Chopard seine Artikelserie zu dem Thema. Die Ermittlungen wurden eingestellt, und der Fall Manon Simonis blieb ungelöst.
Ich rieb mir die schmerzenden Augen. Ich war mir nicht sicher, ob ich viel herausgefunden hatte. Und es fehlte noch immer das wichtigste Element. Nicht die Spur eines Zusammenhangs zwischen diesem düsteren Todesfall und dem Mord an Sylvie Simonis vierzehn Jahre später.
Dennoch hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass während meiner Lektüre etwas »rübergekommen« war. Eine unterschwellige Botschaft, die ich nicht entziffert hatte. Die Ermittler – Gendarmen und Polizisten –, all jene, die sich näher mit diesem Mord befasst hatten, dürften das gleiche Unbehagen verspürt haben. Die Wahrheit lag vor unseren Augen. Dieser Fall hatte eine Logik, ein verborgenes Ordnungsmuster, und bislang hatte niemand die richtige Distanz gefunden, um dies zu erkennen.
Eine Stimme, die vom Erdgeschoss kam, hallte im Treppenhaus wider:
»Schlaf über meiner Prosa nicht ein. Ein Aperitif gefällig?«
KAPITEL 36
Chopard erwartete mich auf der Terrasse vor einem rauchenden Holzkühlengrill – schöne zartrosa Forellen brutzelten über der Glut. Ich erinnerte mich an seine leeren Fangkörbe. Der alte Hase lachte laut auf, als hätte er meinen Gesichtsausdruck in seinem Rücken sehen können:
»Ich habe sie im Restaurant nebenan gekauft. Das mache ich immer so.«
Er deutete auf einen Plastiktisch, um den Gartenstühle standen. Er war schon gedeckt: Papiertischtuch, Pappteller, Becher und Plastikbesteck.
»Bedien dich. Die Munition steht im Schatten, unter dem Tisch.«
Ich fand eine Flasche Ricard und einen Chablis. Ich entschied mich für den Weißwein und zündete eine Camel an.
»Setz dich, in einer Minute ist es fertig.«
Ich nahm Platz. Die Sonne überzog alles mit einem dünnen Hitzefilm. Ich schloss die Augen und versuchte, meine Gedanken zu sammeln. Die Tausende von Wörtern, die ich gelesen hatte, schwirrten mir durch den Kopf.
»Was hältst du davon?«
Chopard legte eine knusprige Forelle auf meinen Teller, verziert mit Pommes frites.
»Schöne Geschichten.«
»Red keinen Stuss. Wie findest du es?«
»Sie schinden manchmal Zeilen.«
Er hantierte mit dem Grillbesteck.
»Ich musste mit dem auskommen, was man mir gab! Die Gendarmen hüllten sich in Schweigen. Tatsächlich hatten sie nichts in der Hand. Totale Fehlanzeige.«
Er ließ eine Forelle auf seinen Teller fallen und setzte sich mir gegenüber:
»Was denkst du über die Ermittlungen? Deine Meinung über die Polizei interessiert mich.«
»Irgendetwas ist komisch. Aber ich weiß nicht genau, was.«
Chopard schlug die rechte Faust in den linken Handteller.
»So isses! Genau!« Er beugte sich zu mir, nachdem er sein Glas geleert hatte. »Etwas Vages, Verschwommenes. Eine Art Schuld, die über dieser ganzen Geschichte liegt.«
»Glauben Sie, dass einer der drei Verdächtigen der Täter ist?«
»Alle drei hängen da drin, wenn du mich fragst.«
»Was?«
»Das sagt mir mein Riecher. Ich habe alle diese Burschen kontaktiert. Ich habe sogar zwei befragen können. Und ich kann dir eines versichern: Die waren nicht sauber.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie den Mord gemeinsam begangen haben?«
Er verschlang einen Happen weißes Fleisch.
»Das habe ich nicht behauptet. Im Grunde bin ich nicht einmal sicher, dass einer der drei der Täter ist.«
»Ich kann Ihnen nicht recht
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