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Das Herz der Kriegerin

Das Herz der Kriegerin

Titel: Das Herz der Kriegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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etwas jüngere Jeanne vor mir sitzen zu haben.
    Zehn Jahre nachdem wir mit den Katharern England erreicht hatten, war die alte Gräfin gestorben, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, denn sie war davon überzeugt gewesen, im Himmel Giselle wiederzusehen, ihre geliebte Enkelin.
    Zwei von Alix’ Enkelinnen hatten mittlerweile heilerische Fähigkeiten entwickelt; die Gabe, die auch Giselle und Jeanne in sich getragen hatten. Eines der Mädchen sah Giselle zum Verwechseln ähnlich – was wahrscheinlich der Grund war, dass sich unser Bruder Jared trotz seines Gejammers über die Langeweile in Garnata momentan nur selten hier blicken ließ. Ich wusste, dass die Wunde in seinem Herzen, die der Tod Giselles gerissen hatte, immer noch schmerzte.
    Nachdem ich auch dem Friedhof einen kurzen Besuch abgestattet und Wiesenblumen auf die Gräber von Yvette, Maria und Jeanne gelegt hatte, kehrte ich dem Dorf den Rücken und ritt in Richtung Wald davon.
    In der Tat waren die Zeiten gefährlicher geworden. Es ging das Gerücht, dass bald mehr Wegelagerer als Eichhörnchen in den Wäldern hausten, was ich persönlich übertrieben fand. Sayds und Davids Sorge teilte ich dennoch und so war ich wachsam. Mochte ich von außen besehen auch Frauenkleider tragen – meine Beinkleider trug ich darunter, ebenso meine Waffen. Die derzeitige Mode kam mir besonders bei der Unteramklinge, die David mir einst geschmiedet hatte, sehr gelegen, denn weite Ärmel verhüllten das Darunter und ließen die Menschen nicht ahnen, dass jemand mit solch einer gefährlichen Waffe zwischen ihnen unterwegs war.
    Nach einigen Meilen, die Sonne hatte sich zwischen den Wolken hervorgedrängt und den Schnee, bis auf wenige Flecken in den Schatten der Bäume, geschmolzen, konnte ich den Ozean bereits riechen. Natürlich waren auch die Gerüche der nahen Stadt da, doch meine Nase konzentrierte sich ganz auf das salzige Aroma des Meeres.
    Glücklicherweise überfiel mich heute nicht gleich der Schmerz des Verlustes, der Duft des Wassers führte mich in meine Kindheit zurück, zu dem Tag, als mein Vater mir zum ersten Mal ein großes Wasser gezeigt hatte. Nicht die kleine Bucht vor unserem Dorf, nein, das weite Meer. Ich hatte auf seinem Schiff ein Stück mit hinausfahren dürfen, weil mein Vater mir zeigen wollte, über welches Reich ich eines Tages herrschen würde.
    »Es wird keine leichte Herrschaft für dich sein«, hatte Einar Skallagrimm mir leise zugeflüstert. »Du wirst dich gegen die anderen Fürsten härter durchsetzen müssen als ein Mann. Aber in dir schlägt das Herz der Skallagrimm, in deinen Adern fließt das Blut unserer Ahnen. Gewiss wirst du unserem Namen Ehre machen und kein Fürst wird es wagen, auf dich herabzusehen.«
    Ich war nie die Herrscherin des Meeres geworden und die Auseinandersetzungen, denen ich mich zu stellen hatte, waren andere, als die von meinem Vater vorhergesehenen. Doch in diesem Augenblick wünschte ich mir, ein kleines bisschen Macht über das Meer zu haben, und wäre es nur, seine Tiefen mit meinem Blick durchdringen und absuchen zu können.
    Schließlich tauchte das graue Band des Wassers vor mir auf. Gischt warf sich schäumend gegen die Steine am Strand, überspülte sie und gab sie schließlich wieder frei. In den vergangenen Tagen musste das Wasser sehr aufgewühlt gewesen sein, denn wie das riesige Netz eines Wassergottes war in sich verschlungener Seetang auf dem Strand ausgebreitet.
    Ich leinte mein Pferd an einem knorrigen Baum mit kahler, schiefer Krone an und schritt dann auf die Küste zu.
    Wie ich es erwartet hatte, riss der Anblick des Wassers die Wunde in meinem Herzen auf, doch es war ein willkommener Schmerz, denn er erinnerte mich daran, die Hoffnung nicht aufzugeben. Außerdem zeigte er mir, dass ich am Leben war, eine schier unglaubliche Tatsache, wenn man bedachte, dass mein Leben bereits mehr als zweihundert Jahre währte.
    Ich schloss die Augen, atmete die salzige Seeluft ein und wünschte mir wie so oft, jenes Elixier, das in meiner Brust pochte und dafür sorgte, dass Alter, Krankheit und Tod mir nichts anhaben konnten, hätte mir auch die Gabe verliehen, ihn aufzuspüren. Doch nicht einmal Sayds Hellsicht konnte helfen. Wenn er eine Vision hatte, dann nur von Menschen, die gerettet oder unterstützt werden sollten. Gabriel war in all den Jahren kein einziges Mal darin aufgetaucht.
    Schließlich begann ich, meine Göttin Freya in meiner alten Muttersprache zu bitten, ihn wieder zu mir

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