Das Herz der Kriegerin
eingewöhnt und durch sein handwerkliches Können einiges an Ansehen gewonnen hatte, bat er ihren Vater um ihre Hand. Den Tag, an dem er die Erlaubnis erhalten hatte, sie zu ehelichen, hielt er für den schönsten seines Lebens, und das Glück, sie auf dem ehelichen Lager in den Armen zu halten, überdeckte die bohrenden Fragen nach dem, was hinter dem Vorhang war, der seine Vergangenheit verbarg.
In dieser Nacht überhörte er die Verwunderung in Silvanas Stimme, als sie sagte: »Seltsam, deine Augen sind eigentlich grau, aber eben hätte ich schwören können, dass sie blau waren. Wie das Meer.«
»Das muss vom Licht kommen«, antwortete er und küsste sie. Silvana war damit zufrieden, doch diese Frage hätte ihn warnen sollen. Nicht nur, dass der von allen erwartete Kindersegen ausblieb. Während sein Weib alterte, blieb er so jung wie an dem Tag, an dem das Wasser ihn ausgespien hatte. Schon bald munkelte man im Dorf, dass ein Fluch auf ihm liege. Oder schlimmer noch, dass er eines dieser Wasserwesen wäre, das sich in einen Menschen verwandelte hatte.
Auch Silvana begann allmählich zu zweifeln. Ihre Hand, mit der sie sein Gesicht streichelte, war noch immer liebevoll, doch in ihren Augen loderte Angst, als sie fragte: »Wie kann es angehen, dass du so jung bleibst? Dass du nicht wie die anderen Männer alterst?«
Der Mann, der Ägir genannt wurde, schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.« Fragend betrachtete er seine Hand. Die kleine Verletzung, die er sich am Vortag beim Schnitzen beigebracht hatte, war bereits verschwunden, wie alle Wunden bei ihm in Windeseile zu verschwinden schienen. Glücklicherweise hatte er das bemerkt, bevor Silvana darauf aufmerksam werden konnte. Wenn es ihm schon Furcht einflößte, dass sich seine Wunden, egal welcher Art, sofort schlossen und kaum bluteten, wie würde dann sein Weib darauf reagieren? Und die Menschen im Dorf?
Die Erinnerung an seine seltsamen Traumbilder kehrte kurz zurück, doch er vertrieb sie mit einem Kopfschütteln.
»Ich weiß wirklich nicht, warum es so ist, wie es ist«, wiederholte er und legte dann zärtlich die Arme um Silvana. »Ich weiß nur, dass ich dich liebe.«
Nach weiteren vier Jahren war das Misstrauen der Leute ihm gegenüber so groß geworden, dass es notwendig wurde, Silvana zu verlassen. Dazu durchringen konnte er sich erst, als er eines Tages von ein paar Männern angegriffen wurde. Sie machten ihn dafür verantwortlich, dass ihr Vieh eingegangen war, und schalten ihn einen Hexer. Als sie mit ihren Mistforken auf ihn losgingen, reagierte Ägir nicht wie der Handwerker, der er war. Wie von allein wich sein Körper den scharfen Zinken aus, wie von allein griff seine Hand nach dem Forkenstiel und entriss ihn dem Mann.
Mit der so gewonnenen Waffe wehrte er die Sense und den Knüppel der anderen mit großer Leichtigkeit ab, und ehe er es sich versah, bohrte sich das Metall in die Leiber der Männer.
Als er entsetzt die Forke fallen ließ, wusste er, dass es für ihn kein Zurück mehr gab. Ohne seine Habseligkeiten zusammenzuraffen oder sich von seinem geliebten Weib zu verabschieden, ergriff er die Flucht und schlug sich in die Wälder.
Wochenlang hörte er die Männer, die nach ihm suchten, und denen es doch nie gelang, ihn zu finden. Ebenso instinktiv, wie er die Angreifer ausgeschaltet hatte, verbarg er sich.
In jenen Wochen und Monaten wurden seine Albträume schlimmer. Stets fand er sich in einem Keller wieder, vor sich ein weißhaariges Wesen mit rotglühenden Augen. Sein Blutdurst kehrte zurück, und da er allmählich glaubte, doch ein Teufel zu sein, stillte er diesen Durst an Tieren, denen er begegnete.
Viele Jahre trieb er sich so herum, wanderte von einer Ortschaft zur nächsten, blieb aber nicht lange genug, als dass die Menschen hätten bemerken können, dass er keiner von ihnen war.
Er suchte Gotteshäuser auf und betete, bat um Erinnerung und Erlösung, doch weder fand er das eine, noch das andere.
Schließlich zog er sich mit nichts als den Erinnerungen an Silvana, an die wenigen glücklichen Jahre, die sie gehabt hatten, in die Einsamkeit zurück, in der Hoffnung, einfach sterben zu können. Doch da brannte etwas in seiner Brust, das ihn nicht sterben ließ. Den Mut, sich die Klinge ins Herz zu stoßen, hatte er nicht, und so verließ er seinen Unterschlupf bald wieder und begann, den Tod herauszufordern, indem er sich mit Räubern und Wegelagerern anlegte. Doch nicht er war es, der den Stahl zu spüren
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