Das Herz der Kriegerin
gerettet, vergiss das nicht. Viele Menschenleben.«
»Damals bei den Kreuzzügen hatten wir das Ohr der Mächtigen. Saladin hat auf mich gehört. Sein Nachfolger ebenso. Jetzt sind gerade die Mächtigen unsere eigentlichen Feinde. Wie sollen wir sie davon abbringen, gegeneinander Krieg zu führen und dumme Entscheidungen zu treffen, ohne sie zu töten?«
Ich dachte eine Weile darüber nach. Eine Antwort wollte mir nicht einfallen, doch ich besann mich auf das, was bei den Kreuzzügen unser Grundsatz gewesen war.
»Die Christen waren Invasoren in deinem Land, nicht wahr?«
Sayd hob die Augenbrauen. »Das waren sie, ja.«
»Genauso sind es die Engländer in Frankreich. Sie haben dort ebenso wenig zu suchen wie damals Richard Löwenherz in Jerusalem. Also sollten wir tun, was wir auch damals getan haben. Den rechtmäßigen König unterstützen – auch wenn er ein unerfahrener Junge ist, der keine Ahnung von Politik hat. Vielleicht können wir ihn trotz der großen Dummheit, die er mit dem Mordbefehl begangen hat, zu einem guten König machen. Wenn die Mächtigen die Ursache für das Leid sind, müssen wir ihnen helfen, sich zu ändern.«
Als Sayd mich wieder ansah, leuchtete Stolz in seinen Augen. »Genauso hätte auch Gabriel gesprochen. Ganz gleich, welche Gefühle ich für dich hege, sayyida , ich vermisse ihn so sehr.«
Ich beugte mich vor und küsste ihn auf die Wange. »Vielleicht kommt er ja eines Tages wieder.« Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht, dann streichelte er meine Wange, erhob sich und wandte sich der Tür zu.
»Vielleicht solltest du deine Notizen für heute sein lassen. Ich muss mir über einiges klar werden, aber schon bald wirst du wirklich zu tun bekommen.«
»Das freut mich zu hören! Gute Nacht, Sayd!«
»Gute Nacht, sayyida .«
Kaum hatte ich mich abgewandt, ertönte ein Krachen von der Tür her. Als ich mich umwandte, sah ich Sayd gekrümmt auf der Schwelle knien. So schnell ich konnte, eilte ich zu ihm.
»Sayd, was ist los?«, fragte ich, doch ich erhielt keine Antwort. In meinen Armen sank er zusammen, und mir blieb nichts weiter übrig, als ihn vorsichtig auf den Boden zu betten. Sein goldener Blick war starr in die Luft gerichtet, doch ich bezweifelte, dass er etwas sah. Die Vision, die ihn überfallen hatte, hielt ihn fest in ihrem Griff.
Ich betrachtete ihn sorgenvoll, obwohl es eigentlich keinen Grund gab, sich Sorgen zu machen. Jeder, insbesondere Sayd, wusste, dass manche Visionen so heftig waren, dass sie ihn außer Gefecht setzten. Während eines Kampfes konnte das sehr gefährlich werden, doch hier, umgeben von schützenden Mauern, konnte ihm nichts geschehen.
Dennoch hätte ich zu gern gewusst, was hinter diesen beängstigend geweiteten Augen vor sich ging.
Die Vision dauerte diesmal ungewöhnlich lange. Erst als sich das Gold aus seinen Augen zurückzog, wusste ich, dass es vorbei war. Wenig später atmete er keuchend ein, zuckte zusammen und richtete sich auf.
»Was hast du gesehen?«, fragte ich ihn, doch zu früh. Offenbar brauchte er noch einen Moment, um wieder zu sich zu kommen.
Eine Weile starrte er, nach Atem ringend in die Luft, dann wandte er sich mir zu. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen, seine Muskeln zitterten unkontrolliert.
»Wir müssen nach Frankreich«, stieß er hervor und griff nach meiner Hand.
»Was hast du gesehen?«, fragte ich noch einmal, während ich ihm ein paar Locken aus der Stirn strich. Diese Geste schien ihn tatsächlich ein wenig zu beruhigen.
»Es gibt in einem Dorf ein Mädchen, das mit den Engeln spricht. Ich sah sie auf einem Pferd sitzen, in einer Rüstung wie ein Mann. Mit dem Schwert in der Hand führte sie ein Heer gen Paris, um dem Dauphin den Platz auf dem Thron zu erstreiten.«
Das klang nach einer wirklich bedeutsamen Vision. Dass sie ihn gerade jetzt überkommen hatte, konnte nichts anderes als das Zeichen dafür sein, dass sein Gott an seinem Plan festhielt.
»Ein Mädchen?«
Sayd nickte.
Für mich war es nicht seltsam, dass ein Mädchen ein Schwert führen sollte, doch für die Menschen in Frankreich, wo es unter Strafe stand, wenn eine Frau Männerkleider trug, würde es sicher ungewöhnlich sein.
»Hast du einen Namen gehört? Oder irgendeinen Hinweis darauf bekommen, wer sie sein könnte?«
»Die Männer nannten sie die Jungfrau …« Sayd runzelte die Stirn, als er sein Gedächtnis durchsuchte. »Jeanne. Ja, das war ihr Name. Jeanne.«
Wie einst unsere Jeanne
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