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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Leichen unterschiebt, der müsste mir bekannt sein? Ist ja schmeichelhaft.«
    Doch er konnte mit dieser Vorstellung weder ihn noch sich selbst täuschen. Der Diener rührte sich nicht vom Fleck und sah seinen Herrn nur aufmerksam an. András warf Goran Halstuch und Hemd zu. Der Vampir wandte sich der verborgenen Tür zu, um in seinen Sarg zu steigen. Goran folgte ihm. Sein anklagenderBlick traf den Grafen noch, als er in seinem Sarg lag. András seufzte.
    »Ich kann dir nichts sagen. Noch nicht. Ich bin mir selbst noch nicht sicher und hege erst Vermutungen. Wenn ich etwas weiß, werde ich es dir mitteilen. Ich verspreche es dir.«
    Goran quittierte dies mit einem Kopfnicken und schloss den Sargdeckel über seinem Herrn.
    Die Woche verging. Karoline und Sophie fanden sich jeden Abend bei Sonnenuntergang im Palais Fries ein und machten sich meist erst gegen Mitternacht auf den Heimweg. András brachte sie jedes Mal bis zum Michaelerhaus, und jedes Mal protestierte Karoline, dass dies durchaus nicht nötig sei. Es war wie ein Spiel, ein Ritual, das einem lieb und teuer wird. Sie lachte dann und warf den Kopf ein wenig aufreizend in den Nacken, wenn er ihr jede Widerrede verbot. Dann legte sie vertrauensvoll ihre Hand in seine Armbeuge, Sophie ergriff seine andere Hand, und so spazierten sie an der Hofburg entlang bis zum Michaelerplatz, mal unter einem prächtigen Sternenhimmel, mal im sanft herabsinkenden Schneefall, dessen kalte Flocken im Gesicht Sophie unablässig zum Kichern reizte. Als sie die Haustüre erreichten und András sich verabschiedete, wurde ihre Miene ernst, ja fast traurig.
    »Was ist denn?«, wollte ihre Mutter wissen.
    »Ich würde ihn nur ein einziges Mal gerne sehen!«
    »Was?«
    »Den Schnee! Ich kann ihn nicht riechen und nicht hören. Ich weiß nur, dass er kalt ist und in den Händen zu Wasser schmilzt. Aber recht fassen kann ich die Schneeflocken nicht.« Sie griff nach den Händen des Grafen.
    »Die Schneeflocken sind ein wenig wie Sie, Freund András.«
    »Warum? Du hast mich doch gerade sehr gut im Griff«, scherzte er.
    »Sie wollen mich nicht verstehen!«
    »Doch, mein Kind, ich verstehe dich sehr gut«, murmelte er und strich ihr zum Abschied über die Wangen, ehe er sich über Karolines Hand beugte und dann, ohne sich noch einmal umzudrehen, davonging.
    Der Vampir lief durch den Schnee. Zum Glück war es so dunkel, dass nicht einmal ein zufälliger Passant hätte bemerken können, wie leicht die Spur nur war, die er zurückließ. András war zu sehr in Gedanken, als dass er bemerkte, wie er seine sonstige Vorsicht außer Acht ließ, sich so wenig wie möglich von den Menschen zu unterscheiden. Er war noch bei Karoline und Sophie.
    Morgen würden sie nicht kommen. Karoline war zusammen mit ihrem Bruder eingeladen, bei einer Soiree zu spielen. Sie würde zwar wieder nicht als Komponistin auftreten – das könne sie ihrem Bruder nicht antun, behauptete sie. Wie würde das denn aussehen, wenn er plötzlich kein neues Stück zu bieten hätte, dafür aber seine Schwester mit einem ganzen Stapel ankäme! András fand, dass sie zu viel Rücksicht nehme. Sie sollte endlich den ganzen Ruhm ernten, der ihr zustand! Doch Karoline wollte davon nichts wissen. Nun, zumindest als Pianistin würde sie wieder Beifall bekommen.
    Bei dem Gedanken, dass sie dort für andere spielen würde statt für ihn allein, stieg ein Gefühl in ihm auf, das er gar nicht empfinden wollte. Was sollte dieser Unsinn? Das war ein Zeichen von Menschlichkeit und von Schwäche!
    Doch ihr Auftritt allein verursachte nicht das ungute Gefühl. Es war eine andere Nachricht, die Karoline ihm auf dem Heimweg zögernd mitgeteilt hatte: Ihr Vater würde in ein paar Tagen aus dem Spital entlassen werden und von da an wieder daheim in seiner Wohnung sein.
    Schon wie sie ihm die Worte schonend beizubringen suchte, ließ die Vermutung aufkommen, dass sie nicht die Kraft haben würde, sich gegen die väterlichen Anweisungen zur Wehr zu setzen. Dennoch fragte er sie direkt:
    »Fräulein Wallberg, werden Sie wiederkommen und den Unterricht fortsetzen?«
    Karoline senkte den Blick. »Ich will es, glauben Sie mir. Sie sind so begabt und machen Fortschritte, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Ich komme gerne zu Ihnen und kann es kaum erwarten, dass der Tag zur Neige geht und der Abend kommt, wenn wir endlich aufbrechen können.«
    »Aber?«
    »Aber ich lebe in der Obhut meines Vaters und muss mich seinen Wünschen

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