Das Herz der Nacht
sagte das Mädchen mit einem dünnen Kichern. Sie hielt sich unglaublich tapfer.
Wie oft würde Karoline noch die Gelegenheit haben, ihr zu sagen, wie stolz sie auf ihre Tochter war? Dass sie sie liebte und keinesfalls bereute, sie geboren zu haben. Warum nur hatte sie es bisher so selten getan?
Sophie schmiegte sich an sie und schob ihre Hand in die der Mutter. Vielleicht bedurfte es in dieser Situation keiner Worte mehr.
»Er wird kommen! Wir müssen nur noch ein wenig Geduld haben.«
Karoline drückte ihre Hand. »Ja, das wird er«, sagte sie. Und dann wird Ileana uns alle drei vernichten. Diesen Gedanken sprach sie nicht laut aus, doch Sophie schien ihre Zweifel zu spüren.
»Du musst an ihn glauben! Nur dann kann er uns retten.«
Aber war er nicht schon einmal vor ihr davongelaufen, weil er schwächer war als sie? Weil sie seine Schöpferin war und er sie nicht besiegen konnte?
»In Wien war das etwas anderes«, korrigierte Sophie. »Da war András bereits von einem anderen Kampf geschwächt. Nur deshalb konnte er es nicht mit ihr aufnehmen.«
Manches Mal war Karoline ihr eigenes Kind unheimlich. Lag es daran, dass es so viel Zeit mit einem Vampir verbrachte? Sie konnte inzwischen fast so gut Gedanken lesen wie András, und das auch noch, ohne einem in die Augen sehen zu können. Oder waren ihre Gedanken so offensichtlich?
Sophie drückte ihrer Mutter tröstlich die Hand. »Er wird kommen, noch ehe das Haus brennt. Ich weiß es!«
Ein Knall ließ sie zusammenfahren. »Was war das?« Wieder krachte es wie Kanonenschüsse, dann ein Bersten und Prasseln. Karoline eilte mit Sophie auf die Luke zu und sah, wie das stolze Rathaus der Stadt Hamburg in sich zusammenstürzte. Staub wirbelte hoch und vermischte sich mit dem Asche- und Glutwirbel der brennenden Häuser dahinter, die nun über dem Trümmerhaufen aufragten.
»Sie haben es gesprengt«, sagte Karoline ein wenig fassungslos. »Sie haben tatsächlich das Rathaus gesprengt!«
»Wer? Und warum tun sie so etwas?«, wollte Sophie wissen.
»Ich denke, es war die Feuerwehr auf Anweisung des Rats, damit sich der Brand nicht weiter ausbreitet. Vielleicht wird dieser Schuttberg die Schneise sein, ihn aufzuhalten.«
»Dann kommt das Feuer nicht bis zu uns?«
Karoline sah aus der anderen Luke zur Börse hinüber, die die wenigen Menschen noch immer hielten, obwohl die Flammen sie fast vollständig eingekreist hatten.
»Ich weiß es nicht«, gab sie hilflos zu. »Wenn der Wind sich legt …«
Daran schien er allerdings nicht zu denken. Er brauste durch die Gassen, von der unheimlichen Hitze der Feuersbrunst getrieben, ließ die Flammen in den Himmel schlagen und sammelte Glut und heiße Asche auf, um sie in Böen weit über die Fleete und in die Straßen zu treiben, die bisher noch widerstanden. Wie lange noch? Schweigend standen sie da und sahen in das Inferno hinab, das unerbittlich näherrückte. Ein heißer Windstoß ließ die beiden zurückweichen. Ein brennender Span wurde hereingewirbelt. Karoline sprang vor und trat die Flammen aus, ehe sie nach einer der Kisten griffen. Ileana lachte.
»Die Zeit läuft ab!«
Und noch während Karoline auf das rauchende Stück Holz hinabsah, dessen Flamme sie besiegt hatte, wurde ihr klar, dass es bereits geschehen war. Sophie stieß einen Schrei aus.
»Mama! Ich kann es spüren. Hörst du es flüstern? Das Feuer ist da. Über uns und dort drüben und auch auf der anderen Seite. Es ist überall!« Sie presste sich gegen Karoline, die sie schützend umfing, obwohl auch ihr Mut nun aufgebraucht war. Sie spürte, wie ihr Körper zu zittern begann. Obwohl sie nichts anderes als den fernen Lärm des Feuers hören konnte, zweifelte sie nicht an Sophies Gespür. Und dann sah sie es. Das feine Glimmen zwischen den Dachbalken. Das Feuer hatte das Haus erfasst, und der auffrischende Wind fachte die Flammen an, sich an den trockenen Balken gütlich zu tun.
26. Kapitel
Asche zu Asche, Staub zu Staub
So musste die Hölle sein. Ja, wenn er sich ein Szenario hätte ausdenken müssen, dann käme diese Nacht in Hamburg ihm verdammt nahe.
András lief durch die Stadt. An rauchenden Ruinen vorbei und an in Flammen stehenden Häuserzeilen. Der Rat hatte inzwischen Militär in die Stadt beordert, das die Plünderer in Schach halten sollte, die zunehmend betrunken und randalierend durch die Stadt zogen und auch noch die Arbeit der Feuerwehr erschwerten. Viele der Helfer waren inzwischen völlig erschöpft. Und die neuen
Weitere Kostenlose Bücher