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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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die über den First herabfluteten, machten drohend bewusst, wie nah die Feuerwand bereits war. Sie konnte jeden Augenblick auf die Häuser um diesen Hof herum übergreifen. Dennoch zerrte Ileana die beiden unerbittlich weiter. Eine Treppe hinauf und noch eine weitere. Wie viele Stockwerke hatte das Haus, und wohin wollte sie mit ihnen?
    War das Treppenhaus in den unteren Etagen noch großzügig gestaltet und die Stufen aus bestem Marmor gehauen, erreichten sie nun einen schmalen Absatz mit sich neigenden Wänden, von dem einfache Türen ausgingen. Am Ende eines Flures riss Ileana eine rohe Holztür auf, hinter der eine Stiege steil nach oben führte. Die Vampirin hielt inne. Die Treppe war so schmal, dass sie keinesfalls zu dritt nebeneinander hinaufsteigen konnten. Ileana warf sich Sophie über die Schulter und zerrte Karoline hinter sich her, bis sie alle auf einem weitläufigen Dachboden standen. Wie bei den Speicherbauten gab es einige hohe Luken, durch die man über eine Seilwinde Säcke und Kisten hochhieven oder hinunterlassen konnte. Im Moment standen nur in einer Ecke einige Kisten. Ileana ließ Karoline los und warf Sophie unsanft zu Boden. Karoline stürzte zu ihr und half ihr auf. Sie hatte sich die Hände aufgeschürft. Ansonsten schien ihr nichts geschehen. Noch nicht.
    »Wo sind wir? Was hat sie mit uns vor?«, fragte Sophie leise.
    Karoline folgte den Bewegungen der Vampirin mit den Augen, die einmal um den Dachboden huschte und die hölzernen Läden vor den Luken aufstieß. Sie beantwortete ihrer Tochter lieber nur die erste ihrer Fragen.
    Von der einen Seite, die wohl nach Südwesten wies, konnte Karoline die Flammenwand auf sich zukommen sehen. Sie erkannte das große Gebäude der neuen Börse, das bereits von drei Seiten von den Flammen eingeschlossen war. Zu ihrer Linken, das musste das Rathaus an der Trostbrücke sein. Auch dort rückte das Feuer vor. Nur im Norden, in Richtung Jungfernstieg und Alster herrschten noch Stille und die Dunkelheit der Nacht. Die Ruhe vor dem Sturm.
    Karoline trat einen Schritt näher an die Luke heran, die auf die Börse wies. Sie konnte Silhouetten ausmachen. Menschen, die mit Eimern und Feuerpatschen bewaffnet mutig dem Inferno trotzten. Wie klein sie gegen das fauchende, feurige Ungetüm waren. Wie hilflos sie wirkten, und dennoch gaben sie nicht auf. Menschen waren seltsame Wesen. Wozu sie in größter Not fähig waren. Auch sie und Sophie befanden sich in einer aussichtslosen Lage und mussten dennoch den Kampf aufnehmen. Sie hatten keine Chance zu gewinnen. Leicht würden sie es der untoten Zerstörerin aber nicht machen!
    Karolines Blick huschte zu der Stiege, die an der noch offenen Falltür endete.
    »Willst du das wirklich versuchen?«, raunte ihr Ileana ins Ohr. »Tu es, ich habe viel mehr Spaß, wenn ich mir das Wild jagen und stellen kann, ehe ich es reiße.«
    Wie konnte sie plötzlich neben ihr stehen? Hatte sie sich nicht eben noch aus der Luke dort vorn gebeugt, und war ihre Gestalt nicht deutlich als Scherenschnitt vor der Flammenwand zu sehen gewesen?
    Karoline schob Sophie hinter ihren Rücken. Nein, sie musste hierbleiben und ihre Tochter schützen, so lange es ging.
    »Wie rührend!« Die Vampirin lachte schrill. »Doch beruhige dein blutendes Mutterherz. Noch ist es nicht so weit. Noch werden wir warten.«
    »Worauf? Dass das Haus in Flammen aufgeht und uns in seinen Trümmern begräbt?«, rief Karoline. »Das kann nicht mehr lange dauern.«
    »Dann sollte sich András lieber beeilen«, erwiderte Ileana kalt.
    Eine heiße Böe wirbelte durch die offenen Luken herein und brachte einen Funkenregen mit sich, der sie wie Glühwürmchen umschwärmte. Heiße Asche regnete auf ihre Haut. Karoline hörte die Pferde im Hof ängstlich wiehern. Seltsam. Sie empfand Mitleid mit den Rappen, denen ebenfalls keine Möglichkeit zur Flucht blieb. Sollte sie nicht lieber Mitleid mit ihrer Tochter haben, die gerade einmal ihr zehntes Lebensjahr vollendet hatte, und mit sich selbst? War nicht auch sie noch zu jung, um zu sterben? Wenn der Tod überhaupt alles war, was sie erwartete. Fast sollte sie ihn erhoffen. Es gab Schlimmeres zu befürchten, als nur den Körper zu verlieren.
    Ileana wanderte ruhelos auf und ab, warf mal durch die eine Luke einen Blick hinaus, dann durch eine andere.
    »Sie ist ziemlich wütend«, raunte Sophie ihrer Mutter zu.
    »Ja, Geduld ist nicht ihre Stärke«, gab Karoline ebenso leise zurück.
    »Dann hat sie mit mir etwas gemeinsam«,

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