Das Herz der Nacht
zusammen. Karoline konnte nicht verhindern, dass sie zusammenzuckte.
»Gemütlich, nicht wahr?«, spottete Ileana, der offensichtlich weder die rauchgeschwängerte Luft noch die Hitze etwas ausmachte. Karoline dagegen spürte, wie ihre Haut zu glühen begann und der Schweiß aus allen Poren trat, als sie um eine Ecke bogen und sich das ganze Inferno ihnen darbot. Schrecklich und doch auch auf seine Weise faszinierend. Karoline riss die Augen auf und starrte auf das Unfassbare. Eine ganze Häuserzeile jenseits des Fleets vor ihnen stand in Flammen. Sie schossen brüllend und fauchend wie lebende Drachen in den Nachthimmel. Funken stoben wie Sternregen in alle Richtungen. Ileana lachte auf. Es war kein fröhliches Lachen. Karoline sah kurz zu ihr hinüber, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Der Wahnsinn loderte in den Augen der Vampirin wie das Feuer, das ganz Hamburg vernichten wollte.
Heilige Jungfrau, steh uns bei! Karoline hatte lange nicht mehr gebetet.
Immer höher türmten sich die Flammen über ihnen auf. Die Hitze war unerträglich, doch Ileana trieb die Pferde weiter. Sie schnaubten und wehrten sich, aber ihr gelang es, sie gegen ihre Panik zu beherrschen. Sie überquerten das Fleet. Wo waren sie überhaupt? Und wo wollte Ileana hin? Fuhr sie wahllos umher, in der Hoffnung, der Zufall würde sie auf András stoßen lassen? Fast schien es Karoline so, denn nun rief sie zornig:
»Wo bist du? András, komm heraus und zeig dich!«
Ein eingestürztes Haus, dessen einstige Pracht nun einem Gewirr verkohlter Balken und Ziegel gewichen war, versperrte ihnen den Weg. Mit der Kutsche gab es hier kein Durchkommen. Ileana bog in eine schmalere Gasse ab, deren Häuser seltsamerweise noch nicht vom Feuer erfasst worden waren. Am Ende aber blockierten wieder Trümmer eines Hauses ihren Weg. Sie zwang die Pferde durch einen Torbogen in einen Hof. Hier konnte sie wenden und den Weg zurück nehmen. Eine andere Möglichkeit schien ihnen nicht zu bleiben. Doch zu Karolines Entsetzen beschloss sie, die Fahrt hier zu beenden. Sie schlang die Zügel um die Seitenlehne und griff nach Karolines Arm.
»Wenn wir ihn nicht aufspüren können, dann müssen wir eben darauf warten, dass er zu uns kommt.«
Ehe Karoline sich überlegen konnte, ob es sinnvoll wäre, Widerstand zu leisten, hatte Ileana sie schon mit sich gerissen. Karoline landete hart auf dem Boden und wäre gefallen, hätte die eisige Hand sie nicht wie ein Schraubstock umspannt. Ileana warf das Hoftor zu und öffnete dann den Wagenschlag, ohne den Griff um Karolines Arm zu lockern.
»Endstation. Komm raus!«
Karoline sah Sophies bleiches Gesicht auftauchen. Ihre Miene war erstaunlich gefasst. Sie richtete ihren Blick in Ileanas Richtung.
»Wo sind wir?«
Die Vampirin gab ihr keine Antwort. Sie packte das Mädchen an der Schulter und riss es aus der Kutsche. Sophie zuckte vor Schmerz zusammen, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Dafür schrie Karoline auf.
»Lass sie in Ruhe! Untersteh dich, meinem Kind etwas anzutun!«
Ileana wandte sich ihr zu. Verachtung stand nun in ihrem Blick. »Was sonst? Willst du mir mit irgendetwas Unsinnigem drohen? Ihr werdet beide heute Nacht sterben. Die einzige Aufgabe, die ihr noch zu erfüllen habt, ist, mir András anzulocken und ihn zu einer wahnwitzigen Tat zu reizen, die es mir noch leichter machen wird, ihn in die Hände zu bekommen.«
»Und dann? Werden Sie ihn vernichten?«
Für einen Moment schien die Vampirin über die Worte des Mädchens erstaunt.
»Ja, ich werde ihn zerquetschen. Er hat es nicht verdient, von mir zurückgenommen zu werden. Nicht mehr. Aber was kümmert es dich? Er ist ein Vampir, ein Wesen der Nacht, ein seelenloser Blutsauger, der lange genug sein Unwesen auf dieser Welt getrieben hat. Es ist also eine gute Tat, ihn zu vernichten!«
»Nein!«, schrie Sophie, die augenblicklich keine Angst um ihr eigenes Leben verspürte. »András ist mein Freund, und ich liebe ihn. Er ist gut, und ich weiß, dass er eine Seele hat.«
Ileana legte den Kopf in den Nacken und lachte, dass es von den Wänden der verlassenen Häuser widerhallte. »Du könntest mich fast amüsieren. Aber nun halte den Mund.«
Sie trat durch eine offene Tür und schleifte Mutter und Tochter mit sich. An Gegenwehr war nicht zu denken. Karoline war genug damit beschäftigt, nicht zu stolpern. Über ihnen konnte sie den Feuerschein sehen, und immer wieder züngelten Flammen in den rauchigen Himmel. Der Lärm und die Hitze,
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