Das Herz der Nacht
die Pferde als auch ich bedürfen nun einer Pause. Außerdem wird der Mond bald untergehen, und dann wird es zu dunkel sein.« Bedauern schwang in ihrer Stimme, während der Groom hinter ihnen vor Erleichterung leise aufstöhnte.
Die Frage, ob er sie begleiten sollte oder nicht, hatte zu einem kleinen Disput geführt, noch ehe die Ausfahrt in den Prater begonnen hatte. Die Fürstin wollte auf seine Begleitung verzichten, aber András beharrte darauf, den Reitknecht mitzunehmen. Den Konventionen musste Tribut gezollt werden, auch wenn es nur ein Hauch von Anstand sein würde, der dann über dem nächtlichen Vorhaben schwebte. Therese hatte protestiert, aber András blieb hart. Er legte keinen Wert darauf, dass ein zornentbrannter Ehemann am anderen Tag mit gezücktem Degen in sein Palais eindrang, um Rechenschaft von ihm zu fordern.
»Das würde mein Gatte niemals tun«, behauptete Therese. »Er ist zu bequem und zu feige. Wenn überhaupt, dann mit Pistolen.«
»Wie beruhigend«, konterte András amüsiert.
Therese machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn ich mir seine Jagderfolge so ansehe, dann hätten Sie nichts zu befürchten! Seine Treiber haben ihre liebe Mühe, ihm das Wild so nah vor die Flinte laufen zu lassen, dass selbst er es nicht verfehlen kann.«
»Nun, wenn ich um mich nicht fürchten muss, will ich noch weniger um Ihre Sicherheit bangen müssen!«
Nun schwieg die Fürstin und senkte den Blick. Es wäre eine dreiste Lüge gewesen zu behaupten, ihr Mann würde sich in Eifersucht und Zorn nicht an ihr vergreifen.
»Er hat sein dralles rosa Bonbon und seine Ballettratten!«, rief sie aus. »Ich mache ihm keine Vorhaltungen, da hat auch er mir keine zu machen!«
András wusste, dass sie das eigentlich nicht hatte sagen wollen, doch nun war es heraus, und sie war zu stolz, um das Gefühl von Peinlichkeit zuzulassen.
»Sie wissen, dass dies in unserer Welt nicht dasselbe ist«, sagte er leise.
»Es ist ungerecht!«, schimpfte die Fürstin.
»Ja, das ist es, doch weder Sie noch ich werden es ändern. Wollen Sie nun dem Groom sagen, dass er Sie auf dieser Ausfahrt begleiten wird?« Therese gab nach. Und bald schon glaubte András, sie habe die Anwesenheit des Reitknechtes hinter sich vergessen, der sich stumm an seinem Sitz festklammerte, während sich die Fürstin als eifrige Schülerin erwies, die nicht genug bekam.
András konnte nicht umhin, den Ehrgeiz, mit dem Therese nach Perfektion strebte, zu bewundern und auch die Hartnäckigkeit, mit der sie keine Anstrengung scheute, dieses Ziel zu erreichen. Er lobte ihre Fortschritte. »Wenn ich weiterhin so vorankomme, dann wird zu Ostern mein Gespann das Gesprächsthema!«, frohlockte sie.
»Und die Dame auf dem Kutschbock, Durchlaucht, mit ihrer virtuosen Führung der Zügel!«, ergänzte András mit einem Kopfnicken.
»Das haben Sie nett gesagt.« Er konnte spüren, wie geschmeichelt sie sich fühlte. »Ich verdanke Ihnen so viel. Ich habe unglaublich viel Neues erfahren und gelernt. Graf, Sie sind ein Magier im Umgang mit Pferden. Und wie Sie das Jagdhaus im fliegenden Galopp in einer solch engen Kurve genommen haben! So etwas habe ich noch nicht erlebt.« Er lächelte angesichts ihrer geradezu jugendlichen Begeisterung. »Ich danke Ihnen, mein Freund. Dies war die wundervollste Nacht meines Lebens!«
»Das hoffe ich doch nicht, Teuerste«, widersprach András in leichtem Ton, doch er konnte spüren, dass es die Fürstin ernst meinte. In diesem Augenblick empfand sie so, und nicht deshalb, weil sie sich der Macht seines Blickes nicht entziehen konnte. Der Vampir war wohl in der Lage, diese Macht bewusst einzusetzen, konnte aber genauso darauf achten, den Menschen an seiner Seite nicht zu beeinflussen. Und dennoch sah sie ihn nun mit einer Inbrunst an, als habe er sie mit seinem Bann belegt, um sie zu einem willigen Opfer zu formen.
Schon im Haus der Fürsten zu Windisch-Graetz war ihm ihre Erregung nicht entgangen. Sie wandelte auf gefährlichem Pfade und war sich dessen vermutlich nicht bewusst. Eine Leidenschaft hatte sie ergriffen, die weit mehr war als eine harmlose Schwärmerei für ein schönes, junges Gesicht. Solch Gefühle wuchsen sich zu einer Gefahr für die Seele aus. Es wäre ein Leichtes, von ihr zu bekommen, was auch er begehrte, und dennoch verspürte András den ungewohnten Wunsch in sich, eingreifen und die Fürstin vor sich selbst zu schützen. Wenn er sich zurückziehen und sich von nun an von ihr fernhalten würde,
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